Die Politik entdeckt das Internet

Das Internet scheint nun in der Politik angekommen. Mit knapp zwei Prozent Wählerstimmen haben die Piraten bei der letzten Bundestagswahl einen Achtungserfolg hingelegt. Jetzt beginnen auch die etablierten Parteien, sich mal den einen oder anderen Gedanken über das Internet zu machen – neben dem Aufstellen von virtuellen Stoppschildern.

Der 134 Seiten starke Koalitionsvertrag von CDU, FDP und CSU beschäftigt sich auf immerhin rund fünf Seiten mit dem Internet. Der Begriff Internet selbst taucht zum ersten Mal auf Seite 43 auf: „Die flächendeckende Versorgung mit Infrastruktur für ein schnelles Internet wird massiv vorangetrieben.“ Was auch immer das bedeutet. Keine Zeitangaben, keine Zielvorgaben. Aber die Richtung stimmt. Alle, die auf dem Land wohnen und gerne einen DSL-Anschluss hätten, aber keinen bekommen, können immerhin hoffen.

Zum zweiten Mal entdeckt ich das Wörtchen „Internet“ auf Seite 46. „Wir brauchen ein verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im Internet. Mit dem verpflichtenden Preisangabefenster können wir Internetabzocke minimieren.“ Dem kann ich nur zustimmen: Es ist mehr als ärgerlich, wie einfach es Abzockern gemacht wird, Preisangaben auf Internetseiten zu verstecken. Da will jemand eine kostenlose Software laden – und schließt unbemerkt ein Abo ab, das 96 Euro im Jahr kostet. Widerlich. So etwas gehört definitiv der Riegel vorgeschoben. Ist also zu begrüßen, je schneller, desto besser.

Überhaupt: Cyberkriminellen will die schwarzgelbe Koalition anscheinend entschlossen an den Wickel. Man werde „für eine Verbesserung der Anwendung des geltenden Rechts zur Verfolgung von Kriminalität im Internet sorgen“, kann man lesen. Immerhin will die neue Regierung auch verstärkt auf internationale Zusammenarbeit zur Verbrechensbekämpfung setzen. Bei einem globalen Medium wie dem Internet ist das unverzichtbar.

„Betrug und Identitätsdiebstahl im Internet“ sollen künftig „konsequent verfolgt“ und der Datenschutz gestärkt werden. Wer wollte das nicht? Gleichwohl wünschen sich die meisten Internetbenutzer auch Schutz vor zu vielen staatlichen Kontrollen ihrer Aktivitäten im Netz. Die höchst umstrittene Internetsperre immerhin kommt erst mal nicht zum Einsatz. Hier konnte sich die FDP durchsetzen, die CDU war bekanntlich dafür.

Immerhin ist im Vertrag zu lesen: „Wir lehnen eine generelle Überwachung des Internetdatenverkehrs ab.“ Das war ja durchaus mittlerweile schon befürchtet worden. Auch die Folgen der von der EU vorgeschriebenen Vorratsdatenspeicherung wurde etwas entschärft. Auf diese Daten sollen Behörden und Strafverfolger nur ausnahmsweise zugreifen können.

„Wir werden den Zugriff der Bundesbehörden auf die gespeicherten Vorratsdaten der Telekommunikationsunternehmen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung aussetzen und bis dahin auf Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit beschränken.“ Was aber auch bedeutet: Man lädt die Verantwortung beim Bundesverfassungsgericht ab.

Es gibt noch weitere Aspekte, die im Koalitionsvertrag behandelt werden, etwa die Netzneutralität oder auch den Kinder- und Jugendschutz im Netz. Wichtig dürfte sein, dass die Kolation ausdrücklich ausschließt, dass Benutzer aus dem Internet ausgeschlossen werden, wenn ihnen mehrfach Rechtsverstöße nachgewiesen werden können. Eine ähnliche Regelung ist in Frankreich gerade in Kraft getreten und wird in anderen Ländern ernsthaft diskutiert. Allerdings: Sollte die EU eine solche Vorschrift erlassen, wäre es doch denkbar, dass so etwas auch in Deutschland kommt. Es wurde nur ausgeschlossen, dass die Bundesregierung die Initiative ergreift, es wurde nicht komplett ausgeschlossen.

Natürlich wäre es schön gewesen, neben wolkigen Formulierungen wie „Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei“ auch zu lesen, dass die Rechte der Bürger im Internet konkret gestärkt werden. Etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, das im Internet ganz anders ausgeprägt sein sollte. Wünschenswert wäre auch ein Schutz der Datensurfer vor Abmahnanwälten, die jede Kleinigkeit mit horrenden Kostennoten abmahnen.

Und ganz besonders sinnvoll wäre es, die mitunter extrem widersprüchlichen Entscheidungen deutscher Gerichte mal zu synchronisieren. Das eine Gericht erwartet beispielsweise, dass ein Forumsbetreiber proaktiv jede Nachricht erst mal liest und freischaltet, wähend ein anderes Gericht sagt, ein Betreiber müsse erst bei Kenntnisnahme einer Beschwerde aktiv werden. Für Laien ist es vollkommen verwirrend, all die widersprüchlichen Entscheidungen zu verstehen. Rechtssicherheit sieht anders aus.

Der Tanker Politik hat also Fahrt aufgenommen und sich um ein paar Zentimeter bewegt. Das ist zwar kein Grund für Jubelsprünge, aber immerhin besser als nichts.

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