Wie Wikileaks die Welt auf den Kopf stellt

Noch nie hat es ein Onlineportal geschafft, derart präsent in den Leitmedien zu sein. Seit Wochen ist das Enthüllungsportal Wikileaks aus Zeitungen und Abendnachrichten nicht mehr wegzudenken. Denn Wikileaks sorgt nicht nur für eine Menge Sprengstoff, sondern stellt auch einiges auf den Kopf. Die Politik verzweifelt, weil plötzlich alles nach außen dringen könnte. Die Journalisten freuen sich, weil es eine neue, zeitgemäße Plattform für Informanten gibt und dadurch mehr Informationen, die sie auswerten können.

Wikileaks ruft Befürworter und Gegner auf den Plan

Die Öffentlichkeit ist geteilter Ansicht. An Wikileaks scheiden sich die Geister: Während die einen begrüßen, dass es nun ein Enthüllungsportal gibt, auf dem anonym für die Allgemeinheit interessante und relevante Informationen veröffentlicht werden können, halten anderen viele der Veröffentlichungen schlicht für Geheimnisverrat und sind der Ansicht, so etwas wie Wikileaks dürfe es nicht geben.

Vor allem die USA sind gar nicht amüsiert und ziehen die Daumenschrauben an. Erst kündigen wichtige US-Provider wie Amazon dem Enthüllungsportal die Zusammenarbeit, dann gibt es gezielte Hackangriffe auf das Portal, um die Webseite unerreichbar zu machen, danach stoppen Zahlungsdienste wie Paypal oder Mastercard den Spendenfluss in Richtung Wikileaks. Das Ziel: Wikileaks zu Fall zu bringen, wenn es schon nicht auf juristischem Weg geht, dann indem die Infrastruktur beschädigt, der Geldfluss blockiert wird.

Zahl der Sympathisanten wächst rapide

Der durch westliche Regierungen aufgebaute Druck erzeugt allerdings auch Gegendruck. Die Wikileaks-Server waren zeitweise nicht zu erreichen, doch jetzt gibt es mehr denn je. Der Geldfluss lässt sich zwar für eine Weile unterbrechen, aber nicht auf Dauer. Vor allem aber wird die Zahl der Sympathisanten, die Wikileaks unterstützen wollen, nahezu täglich größer – und auch das erzeugt Druck, diesmal in die andere Richtung, in Richtung Regierungen.

Längst sind die Wikileaks-Inhalte x-fach kopiert, sie werden von Sympathisanten gespiegelt. Sie sind dann zwar nicht unter der Originaladresse von Wikileaks zu erreichen, aber unter anderen Adressen – und darauf kommt es an: Die Informationen verschwinden nicht. Es ist unmöglich geworden, Wikileaks als Projekt stillzulegen.

Operation Payback und Blackface

Die Zahl der Sympathisanten für Wikileaks werden nicht nur immer mehr, sie organisieren sich auch zunehmend besser – und schlagen zurück. Ständig lassen sie sich neue Aktionen einfallen. Sie attackieren die Webseiten und Server von Unternehmen, die Wikileaks im Regen haben stehen lassen. Die Webseite von Mastercard – stundenlang nur schwer erreichbar. Dasselbe beim Schweizer Zahlungsdienst Postfinance. „Operation Payback“ wird das genannt – wir zahlen es Euch heim. Die feine englische Art ist das zwar nicht, denn hier wird mit denselben Mitteln, denselben Methoden zurückgeschlagen. Allerdings macht all das eines deutlich: Wikileaks lässt sich nicht so einfach in die Knie zwingen, ist längst mehr als Mitbegründer Julian Assange. Wikileaks ist eine weltweite Bewegung. Sie zu ignorieren oder gar bekämpfen zu wollen, mit welchen Mitteln auch immer, ist nicht sonderlich schlau und führt kaum zum Ziel.

Nun hat die Operation des Anonymous-Kollektives eine Operation Blackface ausgerufen, die für dieses Wochenende (18. Dezember) angekündigt ist. Das Web, die ganz Welt soll einen schwarzen Tag erleben. Die Aktivisten rufen dazu auf, möglichst viele Fotos durch schwarze Bilder zu ersetzen, zum Beispiel Profilfotos in sozialen Netzwerken, aber auch andere Bilder im Web, ob in Blogs, Chats oder Social Communities. Je mehr schwarz zu sehen ist, umso deutlicher wird der Protest. Doch auch die Offlinewelt ist betroffen: Es wird aufgerufen, möglichst viel schwarz zu tragen, etwa schwarze Hemden oder schwarze Krawatten. Als ein stilles Zeichen gegen die Ungerechtigkeit und die herrschenden Verhältnisse in der Welt, als Protest gegen Zensurbestrebungen.

Öffentliche Debatte nötig: Wie geht man mit Geheimnissen um?

Die Verantwortlichen müssen begreifen, dass eine öffentliche Debatte über die Vorzüge und Nachteile von Wikileaks erforderlich ist. Vor allem die US-Regierung muss umdenken, denn wie sich zeigt: Druck erzeugt Gegendruck – und über das Internet lässt sich leicht Gegendruck organisieren. Jede Form von „Zensur“ ruft schnell Proteste hervor. Wikileaks stellt fraglos eine Menge auf den Kopf. Geheimnisse sind plötzlich nicht mehr geheim, selbst Supermächte, große Firmen und Institutionen müssen befürchten, die Kontrolle über den Informationsfluss zu verlieren.

Einfach nur Kontrolle und Druck ausüben zu wollen, so wie im analogen Zeitalter, ist jedenfalls keine Lösung. Die Öffentlichkeit hingegen muss sich fragen, ob sie wirklich alles wissen will, um jeden Preis. Wir alle müssen uns mit Wikileaks auseinandersetzen. Es muss eine neue Ethik her, eine neue Art von Redefreiheit, ein neues Selbstverständnis von Öffentlichkeit – und auch das Wörtchen „Diskretion“ muss wohl neu definiert werden. Eine Welt ohne Wikileaks wird es jedenfalls wohl nicht mehr geben.

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