Stärke eines Shit-Storm kann jetzt gemessen werden

von | 02.05.2012 | Tipps

Das Internet ist ideal geeignet, um sich mit anderen auszutauschen. Interessant ist aber, welche Eigendynamik das Internet mitunter zu entfachen in der Lage ist. Leicht wird hier schon mal aus dem Protest eines einzelnen eine Massenbewegung. Dann hagelt es Mails, Nachrichten und unfreundliche Blogeinträge. „Shitstorm“ wird so etwas genannt – so etwas kann wirklich sehr unangenehm sein.

„Shitstorm“ setzt sich aus den englischen Begriffen „Shit“ (Scheiße) und Storm (Sturm) zusammen. Mittlerweile ist „Shitstorm“ beinahe ein Modebegriff, er wird gerne verwendet, wenn besonders viel Kritik, Häme oder einfach nur Empörung entsteht. Für alle, die sich gerne mit Sprache beschäftigen: Der Begriff war als „Anglizismus des Jahres 2010“ nominiert, nachdem die Verwendung in den deutschen Medien stark angestiegen war. Ein Jahr später wurde der Shitstorm tatsächlich zum Anglizismus des Jahres 2011 ernannt.

Das Internet entfaltet leicht eine unkontrollierbare Dynamik

Das Internet kann eine ungeheure Dynamik entfalten: Blogs, Twitter, Social Networks – wenn sich die Community in ein Thema verbeißt, und kann sehr schnell gehen, gibt es ein Entkommen mehr. Von einem Shitstorm ist erst dann die Rede, wenn ein Thema nicht nur emsig online diskutiert wird, sondern wenn es auch den Betroffenen direkt erreicht, etwa, indem er mit Mails oder Nachrichten überflutet wird, seine Webseite, sein Blog oder seine Präsenz in den sozialen Medien überhäuft wird mit Einträgen. Ein Shitstorm bedeutet immer: Es bricht eine Welle der Empörung über jemanden ein.

Ein Shitstorm stellt einen direkten Angriff auf die Reputation, das Ansehen eines Unternehmens oder einer Person dar. Oft beginnt so ein Shitstorm völlig harmlos und ohne eine Absicht. Da bewertet ein Kunde ein Unternehmen aufgrund unerfreulicher Erfahrungen schlecht. Schnell finden sich andere User, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Reagiert der Betroffene ungeschickt auf die ersten Proteste, kann sich schnell ein Orkan der Entrüstung entwickeln. Aus einer Einzelerfahrung oder Einzelmeinung entsteht schnell eine Strömung, die sich auf verschiedene Onlinedienste und soziale Netzwerke auszubreiten vermag. Schnell wird die Kritik eher unsachlich und nahezu ausschließlich emotional geäußert, dann sind die Wogen kaum noch zu glätten.

Barometer für Shitstorm: Wie heftig bläst der Wind?

Aber wie stark ist so ein Shitstorm? Mittlerweile lässt sich die Intensität auf einer Skala messen, die die schweizer Social-Media-Experten Barbara Schwede und Daniel Graf haben im Rahmen der Social Media Marketing Konferenz 2012 entwickelt haben. Mit ihrer Hilfe lässt sich in etwa abschätzen, wie schwer der „Sturm“ im Netz bereits ist. Bei der Einordnung der Schwere der Empörungswellen von Usern und Medien im Internet orientierten sich Schwede und Graf an der berühmten Beaufort-Skala, in der Winde nach ihrer Stärke klassifiziert werden.

Die Shitstorm-Skala ist in sechs Stufen unterteilt, in der die Reaktionen in Social Media und Medien aufsteigend abgebildet sind. „Windstille“, „Leiser Zug“, „Schwache Brise“, „frische Brise“, „starker Wind“, „Sturm“ und „Orkan“: Das sind die sechs Stufen der Windstärke, „völlig ruhige, glatte See“, „ruhige, gekräuselte See“, „schwach bewegte See“, „mäßig bewegte See“, „grobe See“, „hohe See“ und „schwere See“ sind die Einstufungen in der Kategorie Wellengang.

Windstille und glatte See bedeutet, dass es derzeit keine kritischen Rückmeldungen oder Medienberichte gibt. Bei Stufe 6 (Orkan, stürmische See), die nur selten erreicht wird, steht die Community unter Hochspannung. Die Eigendynamik solcher Diskussionen hat längst dazu geführt, dass der Tonfall eher aggressiv ist, der Shitstorm selbst ist bereits ein Thema in den Onlinemedien.

In Zeiten von Social Media haben sich die Spielregeln für Kommunikation total geändert, vor allem für die Politik und für Unternehmen. Ein Shitstorm entsteht meist unvorhersehbar und trifft den Betroffenen unvorbereitet. Übereilte, unbedachte, vielleicht sogar falsche Reaktionen können die negative Stimmung weiter aufheizen. Ein Unternehmen kann so einen Shitstorm nur dann ohne allzu großen Schaden überstehen, wenn die Reaktionen ruhig und sachlich ausfallen. Die Dynamik in den Social Media sollte genau beobachtet werden – was natürlich in einer solchen Krisensituation leichter gesagt als getan ist.

Beispiele für Shitstorms

Eins der besten und folgenreichsten Beispiele ist zweifellos die Plagiats-Affäre von Karl Theodor zu Guttenberg. Als bekannt wurde, dass der Ex-Minister in seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben könnte, entstand nicht nur eine Welle der Empörung – vor allem, nachdem er das Abschreiben öffentlich leugnete –, es wurden vor allem viele Menschen aktiv, um von Guttenberg sein Vergehen nachzuweisen. Innerhalb kürzester Zeit war der Ex-Minister überführt. Ohne den Nachdruck aus dem Netz hätte die Geschichte sicher eine ganz andere Wendung genommen. Andere Plagiatsfälle von prominenten Doktoranden sind ähnlich verlaufen.
Ein anderes gutes Beispiel ist die Auseinandersetzung zwischen dem Blogger René Walter mit seinem Blog nerdcore.de und dem Internetdienstleister Euroweb. Der Blogger hatte sich kritisch über Euroweb geäußert. Daraufhin gab es eine Abmahnung und eine einstweilige Verfügung. Es gab Streit vor Gericht und Euroweb ließ die Domain nercore.de pfänden. Das ging der Community zu weit: Sie überzog Euroweb mit Kritik.

Dann gibt es noch die „Pril“-Affäre: Eigentlich hatte Hersteller Henkel eine schöne PR-Idee für seine Spülmarke Pril. Per Crowdsourcing sollte eine limitierte Auflage des Geschirrspülmittels entworfen werden, die garantiert den Geschmack der Kunden trifft. Doch die Community hat ihre Macht genutzt und sorgte dafür, dass eher absurde Entwürfe wie „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ an die Spitze gewählt wurden.

Doch Henkel bestand auf seine eigenen Regeln. Nicht die User, sondern eine Jury sollte bestimmen, welche Vorschläge zur Marke passen. Die eher albernen Spaßversionen konnten es nicht schaffen. „Unpassende“ Entwürfe wurden dann bald gar nicht mehr zugelassen, einzelne Votings wurden bereinigt. Am Ende sollten Entwürfe gewinnen, die von der Community gar nicht goutiert wurden. Die Empörung war riesig. Ein Shitstorm.