Wenn Pakete kommen, die keiner bestellt hat: Tricks und Maschen von Amazon

Folgende Situation könnte uns in Zukunft öfter blühen. Es klingelt. Ein Paketbote. Merkwürdig, ich habe doch nichts bestellt!? Doch der Bote hält ein Paket von Amazon in den Händen. Nicht für den Nachbarn, auch kein Versehen, sondern tatsächlich für mich. OK. Angenommen. Aufgemacht. Darin: Diverse Warenproben. Duschgel. Spülmittel. Socken zum Joggen. Tierfutter für die Katze…

Nicht bestellt – trotzdem gekommen. Was ist da los? Amazon hat in den USA einen neuen Dienst gestartet, der sich „Amazon Samples“ nennt. Kunden erhalten unaufgefordert Pakete mit diversen Warenproben zugestellt. Nicht 10 mg Handcrème und drei Kartoffelchips, sondern hochwertige Produkte – in handelsüblichen Mengen. Alles für lau. Unverbindlich. Zum Ausprobieren. Großzügig, dieses Amazon – oder?

Amazon ist einer der Big Player am Datenmarkt

Die meisten freuen sich über solche Aufmerksamkeiten. Gratis ist immer gut, richtig? Komisch nur, dass Amazon genau den Geschmack trifft. Jogging-Socken für den Outdoor-Freak, Katzenfutter für den Katzenliebhaber – und Babysachen für die gerade erst schwanger gewordene Frau.

Amazon kann das. Denn Amazon weiß eine ganze Menge über uns. Wenn wir uns über Datensammelei beklagen, fallen meist nur Google, Facebook und ein paar andere Namen. Das sind die bekanntesten Sünder. Amazon kommt bei diesen Debatten meist ungeschoren davon. Dabei durchleuchtet Amazon seine Kundschaft nicht minder gründlich. Ebenso ungeniert.

Bislang haben wir das vor allem durch Kaufempfehlungen mitbekommen, die uns per E-Mail zugeschickt wurden. Oder durch die berühmten „Kunden, die das gekauft haben, interessieren sich auch dafür…“-Einblender. Allerdings sind das Peanuts im Vergleich zu dem, was uns erwartet.

Amazon verfügt über derart viele Daten, dass sie unsere Wünsche längst besser kennen als wir selbst. Das Unternehmen verfügt zum Beispiel über eine Technologie, Waren zum Versand vorzubereiten, bevor wir sie bestellen – weil Amazon unsere geheimsten Wünsche kennt. Und unser Verhalten. „Method and System for anticipatory package shipping“ nennt sich das Patent.

Nun das: Amazon versorgt Kunden mit Warenproben. Aber nicht mit irgendwelchen, sondern mit genau den Waren, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch passen. Die absolute Wunschvorstellung für – richtig: die Industrie. Die kann sich mit Hilfe von Amazon an jene Kunden wenden, die sie mit offenen Armen empfangen. Und alle Verweigerer links liegen lassen. Amazon macht’s möglich.

Am Ende profitiert einer immer: Amazon

Und damit sind wir beim springenden Punkt: Amazon vergoldet die Daten. Und zwar gleich mehrfach. Natürlich verschickt Amazon die Warenproben nicht auf eigene Kosten. Die Hersteller und Händler zahlen für diese Dienstleistung – und die Warenproben stellen sie ebenfalls.

Amazon verdient also Geld damit, dass später möglicherweise noch mehr Geschäfts gemacht werden. Zu allem Überfluss bekommt Amazon auch noch Daten frei Haus, nämlich wie Menschen im Allgemeinen und einige im Besonderen auf bestimmte Warenproben reagieren.

Auch hat Amazon ein eigenes Werbeprogramm auf seiner Plattform gestartet. Hier können Hersteller und Händler für ihre Produkte werben – und für ihre eigenen Shops auf Amazon. Sie verschaffen sich so einen Wettbewerbsvorteil. Amazon kassiert doppelt: Der Konzern kann die Hersteller und Händler gegeneinander ausspielen, denn wer nicht unsichtbar werden will, muss ebenfalls werben. Und am Ende werden Waren verschickt – die Provisionskasse klingelt.

Mit Amazon Locker können Amazon Kunden ihr Paket einfach dorthin liefern, wo es auf ihrem Weg liegt.

Möglich wird das, weil Amazon mittlerweile fast schon so etwas wie eine Suchmaschine für Waren aller Art ist. Da man bei Amazon alles bekommen kann, suchen viele hier nach Produkten. Und sei es nur, um sich einen Überblick über Preise, Lieferzeiten und Händler zu machen. Für Amazon wertvolle Daten, die in bare Münze gewandelt werden können.

Amazon – der „Demolition Man“

Und das alles ist nur der Anfang. Wer Amazon schon eine Weile beobachtet, weiß nur zu gut: Jeff Bezos Company kennt keine Freunde. Nur Feinde. Produkte, die gut laufen, werden von Amazon unter eigenem Label hergestellt und angeboten.

Bei Lieferanten werden Preise werden über jede Schmerzgrenze hinaus gedrückt, um die eigene Margen zu optimieren. Als weltweiter Marktführer als Onlineshop geht das auch: Welcher Verlag zum Beispiel kann es sich denn leisten, nicht bei Amazon vertreten zu sein?

Dass dabei Buchhändler, CD-Shops, Einzelhandel und selbst Kaufhäuser leiden, ist dem Konzern – der am liebsten nirgendwo und gar keine Steuern zahlt – völlig schnuppe. Jeff Bezos hat nur eins im Blick: Den eigenen Vorteil – und Wachstum, Wachstum, Wachstum. Diese Strategie hat sich – leider! – bewährt. Nicht zuletzt, weil niemandem dem US-Konzern die Stirn bietet. Der Wettbewerb nicht – und die Politik schon mal gar nicht.

Wer online seine Brötchen verdient – und wer tut das heute nicht? –, der ist gut beraten, die Strategie und die Rezepte von Amazon zu kennen und zu verstehen. Sei es, um nicht selbst unter Amazons Räder zu geraten – oder um Entwicklungen zu kennen und dort, wo sie gut sind, auch für den eigenen Vertrieb zu übernehmen, sofern möglich.

Die Spielregeln, die Amazon vorgibt, sind für andere nur schwer zu ignorieren. Ob kostenloser Versand, großzügige Rücknahme von Produkten oder eben die Ausschlachtung der vorhandenen Daten bis zum Anschlag. Personalisierte Ansprache der Kunden im Web-Shop, in der App und per E-Mail. Auf allen Kanälen.

Immense Umsätze mit Empfehlungen

Alles Peanuts? Keineswegs: Rund 30 Prozent des Shop-Umsatzes erzielt Amazon mit seinem Empfehlungen, erklärt Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet Institute. Daran lässt sich erkennen, welche ungeheure Wirkung selbst simpelste Empfehlungen für den Konzern haben.

Auf Einkäufen und Interesse basierende Empfehlungen: Amazon hat sie erfunden und zur Perfektion getrieben. Andere Shops machen es ebenfalls. Aber niemand sonst verfügt über ein derart umfangreiches Datenmaterial wie die Bezos-Company.

Das Problem: Da Amazon sein Warten-Portfolio immer weiter ausbaut und die Zahl der Kunden wächst, entstehen auch immer mehr Daten. Das Geheimnis liegt in der Auswertung großer Datenmengen. Big Data. Algorithmen erkennen die Muster – und hier gilt Amazon als führend.

Die perfekte Grundlage für Entscheidungen und Marketing. Nur: Wenn Amazon so mächtig ist, wie soll der normale Einzelhandel da mithalten? Die meisten versuchen, die Mechanismen zu kopieren. Sie versuchen ebenfalls, ihre Kunden zu durchleuchten. Doch das ist riskant: Denn wenn nicht genügend Daten vorliegen, kann das nicht gut funktionieren.

Noch gibt es kaum Vorschriften, was mit einmal erhobenen Daten passiert. Daran hat auch die DSGVO nicht viel geändert. Die angehäuften Datenberge können von den großen Konzernen nahezu ungehindert zusammengeführt, vermischt und ausgewertet werden. Zweck: Egal. Gleichzeitig mangelt es an Transparenz. Der Kunden sieht nur die Spitze des Daten-Eisbergs, wenn er überhaupt Infos über gespeicherte Daten bekommt.

Die Politik muss handeln – sonst droht ein Tsunami

Die Politik ist gefordert, dem Einhalt zu gebieten. Denn wie unkontrolliert und teilweise ungeniert Konzerne wie Amazon Gebrauch von Daten machen, haben sie ausreichend unter Beweis gestellt. Wir – die Gesellschaft – sollten endlich unsere Blauäugigkeit (Motto: Wird schon gut gehen…) endlich ablegen.

Konzerne, die Daten sammeln, sollten zur vollständigen Transparenz verpflichtet werden – auch und besonders, zu welchem Zweck die Daten verbunden werden.  Nur das schützt uns (möglicherweise) vor Missbrauch.

Und bewahrt seriöser operierende Unternehmen, nicht der Versuchung zu erliegen, ähnlich skrupellos zu agieren – oder sogar unterzugehen, zerdrückt von einem übermächtigen Konzern. Denn wer weiß: Vielleicht fällt es Amazon als nächstes ein, Fotoabzüge anzubieten. Oder Druckdienste. Alles denkbar. Was sich rechnet, das macht Amazon auch. Früher oder später.

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