Cancel Culture: Wenn die Lauten das Sagen haben

Das Netz kann ungeheure Kraft und Macht entfalten. Das weiß jeder, der selbst schon mal einen „Shitstorm“ erleben musste: Massenhafte Proteste, Kritik oder sogar Diffamierung in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“. Mittlerweile gibr es immer häufiger organisierte Proteste gegen einzelne Personen aus dem Öffentlichen Leben – mit fatalen Konsequenzen.

Wir müssen wohl oder übel einen neuen Begriff lernen: „Cancel Culture„.

Damit ist laut Wikipedia ein „systematischer Boykott von Personen oder Organisationen gemeint, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen bzw. Handlungen vorgeworfen werden“. In der Praxis ist es aber oft mehr als ein Boykott – häufig werden Aktionen gefahren, vor allem im Netz.

Häufige Folge: Ein Beitrag, ein Foto, ein Audio, ein Video wird aus dem Web oder von einer Plattform entfernt, weil es (zu viel) Protest gibt. Aktuelles Beispiel: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wirbt zum 100-jährigen Bestehen mit einem Audio-Beitrag von Dieter Nuhr, der einer von drei „Botschaftern“ der Gesellschaft ist.

Phase I: Die Empörung – inhaltslose Proteste

Es gab einen Beitrag auf der Homepage der Gesellschaft – und den heute obligatorischen Tweet dazu. Was folgt, waren keine Lacher – wie sich das ein Kabarettist wünscht -, sondern Protest, Hohn und Spott. Doch wie im Netz so häufig üblich, wird nicht etwa der Beitrag an sich kritisch auseinander genommen, sondern es wird polemisiert. Gegen Nuhr.

Keineswegs das krasseste Beispiel: Wie man einen so „misogynen Menschen gerade zu einem solchen Feld sprechen“ lassen könne, schreibt eine Twitter-Userin. Misogyn – also frauenfeindlich. OK, das ist eine Meinung – die ich zwar nicht teilen würde, die man aber ja haben kann. Kabarettisten müssen sowas wohl aushalten. Aber was hat das bitte mit einem kabarettistischen Kommentar zum Thema Wissenschaft zu tun?

Richtig: Überhaupt nichts. Es geht einzig und allein darum, den Sender zu diskreditieren. Eine uralte Taktik, die sich Argumentum ad hominem nennt. Wir machen den Absender mal so richtig schlecht, dann müssen wir uns nicht mit seiner Botschaft auseinandersetzen. Das ist zwar billig – aber leider häufig erfolgreich.

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Phase II: Die Unterwerfung – wir löschen das dann mal …

Kommen genug solcher meist inhaltsleeren ablehnenden Botschaften zusammen, entsteht in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“ ein unaufhaltsamer Ping-Pong-Effekt. Ein Shitstorm droht, dem viele Verantwortliche oft nicht lange standhalten. Dann löschen sie unterwürfig den Beitrag – und denken, damit wäre es getan.

Das hat auch die DFG so gehandhabt, zumindest mit dem Beitrag auf der Webseite. Cancelled – deshalb Cancel Culture.

Zwar gibt es danach auch Proteste ob des Einknickens – aber die sind meistens nicht so laut wie die davor. Der Mensch sehnt sich nach „Relief“ – nach Linderung.

Phase III: Die Lauten gewinnen – immer und immer wieder

Das Problem ist aber: Die Lauten haben zwar nicht recht, bekommen aber meistens recht. Und jedes Mal, wo sie mit ihrem aggressiven Geposte erfolgreich sind, werden sie beflügelt, in Zukunft genau so weiterzumachen. Success feeds success.

Natürlich sind es keine Mehrheiten, die sich beschweren. Die Mehrheit schweigt. Aber selbst wenn die Mehrheit protestieren würde, wäre das doch immer noch kein guter Grund, einen Beitrag zu entfernen. Denn das bedeutet ja: Nur was mehrheitsfähig ist, darf gepostet werden. Was der Masse gefällt. Im Grunde ist das dann eine Einschränkung der Meinungsfreiheit wie in China: Da schreiben einige wenige Herrschenden vor, was erlaubt ist. Bei uns einige wenige, die besonders laut sind.

Die Meinungsfreiheit – sie ist immer stärker gefährdet. Nicht, weil uns Gesetze einschränken, sondern weil es die Lauten tun (die sich umgekehrt niemals den Mund verbieten lassen würden, wo kommen wir dahin?). Die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ sind da leider Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.

Die Wirkung von „Sozialen Netzwerken“: Nicht immer förderlich für die Demokratie

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