Jetzt also auch Lisa Eckhardt: Cancel Culture

von | 07.08.2020 | Digital

Lisa Eckhart ist eine Kabarettistin aus Österreich, die mit ihrer Kunstfigur, die sie erfunden hat und spielt, bei vielen aneckt. Ihr wird vorgeworfen, antisemitisch, homophob und behindertenfeindlich zu sein – und manches mehr. Sie sollte in Hamburg an einem Literaturwettbewerb teilnehmen, wurde aber jetzt ausgeladen.

Offiziell „aus Sicherheitsgründen“. Weil Proteste von links angekündigt wurden. Die einen machen Druck, die anderen knicken ein: So etwas wird heute „Cancel Culture“ genannt und ist ein schnell sich im Netz verbreitendes Phänomen.

Der Fall Lisa Eckhart ist aktuell kein Einzelfall. Auch um Dieter Nuhr gab es diese Woche viel Wirbel. Zuerst sollten wir aber diesen Begriff klären: „Cancel Culture“.

Der Begriff „Cancel Culture“

Der Begriff kommt aus dem Amerikanischen. Er bedeutet: „Systematischer Boykott einer Person oder Organisation“. Das öffentliche Abkanzeln von Menschen. Aber nicht nur Boykott, sondern im Netz sogar regelrechte Zerstörung: Es bilden sich Gruppen, die in den „Sozialen Netzwerken“ quasi aus allen Rohren schießen, kritisieren, diffamieren, ein Auftrittsverbot fordern – oder gar Sendeverbot verlangen.

Wegen einer Handlung, Äußerung oder Haltung der Person, die dieser Gruppe nicht gefällt. Beispiel: Jemand ist der Meinung, Klimawandel ist nicht so schlimm? Dann darf er natürlich nicht mehr in Talkshows eingeladen werden, soll nicht mehr öffentlich lesen oder im Tatort mitspielen – ist ja klar. Über die Netzwerke wird Druck gemacht. Am Ende knicken oft Veranstalter, Verlage, Sender oder Auftraggeber ein – und folgen dem Druck.

Dieter Nuhr: Es reicht, die falschen Witze zu reißen

Auch Dieter Nuhr ist diese Woche zum Opfer dieser „Cancel Culture“ geworden: Er hat einen Kommentar eingesprochen für die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) – und die hat ihn schon nach einem Tag wieder aus dem Netz entfernt.

Dieter Nuhr hattte ein 50-sekündiges Statement für die DFG über die Bedeutung der Wissenschaft abgegeben, sich ausdrücklich für Wissenschaft ausgesprochen – aber auch indirekt Grete Thunberg kritisiert. Es folgten innerhalb von Sekunden unzählige Tweets, die den Satiriker zerstören wollten – als Person. „Argumentum ad hominem“ wird dieser Kniff genannt: Nicht mit der konkreten Aussage auseinandersetzen, sondern die Person demontieren.

Das ist Phase I: Nuhr wurde jede Kompetenz abgesprochen, sich über Wissenschaft zu äußern. Ihm wurde vorgeworden, frauenfeindlich zu sein – das reiche, um ihn zu disqualifizieren. Da wird vieles durcheinander geworfen. Eine hitzige Stimmung, man kann es unmöglich „Debatte“ nennen. Dutzende Tweets…

Dann hat die DFG die Reißleine gezogen und den Nuhr-Kommentar von der Webseite entfernt. Das ist Phase II: Die Unterwerfung vor den Lauten, auch wenn es nur einige wenige sin d. Ein Veranstalter lädt eine Lisa Eckhart wieder aus, eine DFG entfernt den Kommentar eines Kabarettisten.

Kritik geht, Zerstörung nicht

Wer in der Öffentlichkeit steht, der muss sich doch auch der Kritik stellen. Wo liegt das Besondere und vielleicht auch das Problem der „Cancel Culture“?

Kritik, erst recht konstruktive, ist jederzeit erlaubt und hilfreich. Nur geht es darum nicht. Es entsteht eine Sogwirkung: Im Netz bündeln sich nicht Argument und Gegenargumente, sondern die blanke Abneigung gegen eine Person. Es geht um Demontage. Das Ziel: Die Person zu verbannen. Sie zur Persona nongrata zu erklären, weil man ihr eine inakzeptable Gesinnung unterstellt.

Es reicht am Ende, eine andere Meinung oder Haltung zu haben wie eine bestimmte Gruppe – und das einem Comedian sehr schnell passieren. Keine Auftritte. Keine Aufträge. Keine Sendezeit. Das ist das Ergebnis. Die systematische Zerstörung. Das kommt einem Berufsverbot gleich. Nicht ausgesprochen von einer Regierung oder Behörde, sondern von einem unsichtbaren Tribunal, einer Gruppe. Der „laute Netz-Mob“, sagen manche,

Dem Druck nicht nachgeben

Aber ist es richtig, dem Druck zu nachzugeben und die Leute so vielleicht auch aus der Schusslinie zu nehmen?

Auf gar keinen Fall. Denn das führt nur dazu, dass die „Cancel Culture“ noch viel größer und lauter wird. Es kann doch nicht sein, dass die Lauten bestimmen, wer was sagen oder schreiben darf. Sie sind laut – aber nur einige wenige. Aber selbst wenn die Mehrheit der Ansicht ist, ein bestimmter Kabarettist sei unpopulär: Na und? Ist die Kunst nicht dazu da, auch Mehrheiten aufzurütteln?

Irgend jemand muss doch Gegenpositionen einnehmen und Fragen stellen, auch provozieren. Es sind häufig gerade die, die für sich selbst jede Freiheit in Anspruch nehmen, anderen aber jede Freiheit nehmen wollen. Es ist absurd. Aber das Netz ist ein regelrechter Turbo für diesen Effekt. Es ist eine sehr unerfreuliche Entwicklung.

 

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