Wer sich einen Eindruck verschaffen will, was auf der Love Parade in Duisburg am vergangenen Wochenende los war, was eigentlich zur Massenpanik geführt hat und wie unvorstellbar viele Menschen auf dem Veranstaltungsgelände in Duisburg eingepfercht waren, der muss nur das Stichwort „Loveparade“ beim Onlineportal Youtube eingeben – und bekommt gleich Tausende von Treffern mit Videos präsentiert.
Darunter jede Menge Filme, die mit Handy oder Digitalkamera gedreht und oft schon wenige Minuten nach dem Ereignis ins Netz gestellt wurden. Die Filme verlangen dem Betrachter eine Menge ab, denn anders als im Fernsehen, wo Redakteure Momente und Bilder auswählen, zeigen die Youtube-Filme ungeschnittene Realität. Zu sehen sind dichtes Gedränge, Menschen, die versuchen, über eine Treppe zu flüchten, Menschen, die das Bewusstsein verlieren und getragen werden und Menschen, die in ihrer Panik sogar Wände hochklettern.
Die Filme auf Youtube sind keine offiziellen Aufnahmen von Veranstalter oder Polizei, die gibt es nämlich kaum, sondern privat gedrehte Videos. Sie sind ein wichtiges Zeitdokument. Denn sie belegen nicht nur, was passiert ist, sondern können auch helfen zu beweisen, was schiefgelaufen ist – bei der Planung, bei der Organisation, während der Loveparade selbst.
Die Bilder vom Gelände des alten Güterbahnhofs Duisburg gingen um die ganze Welt, nicht nur im Web, sie waren praktisch auf allen Fernsehsendern zu sehen. Mangels anderer Bilder haben Journalisten sich der Privatvideos bedient, sie haben die Filme einfach so gezeigt oder Standbilder aus den Videos entnommen – und gedruckt. Youtube und Co. als erste Infoquelle.
Das Web beeinflusst die traditionellen Medien immer nachhaltiger. Die Weböffentlichkeit ist oft näher dran, kann schneller Eindrücke, Bilder oder Videos liefern als die traditionellen Medien – und auch authentischer. Das sind große Vorteile vom Web 2.0. Auf der anderen Seiten: Niemand kann ohne weiteres die Authentizität der Bilder prüfen, selbst die Quelle – wer hat fotografiert, gedreht, aufgeschrieben? – lässt sich oft nicht ohne weiteres ermitteln.
Trotzdem greift auch die Staatsanwaltschaft auf die privat gedrehten Videos auf Youtube zurück. Denn die Filme können helfen, den Verlauf der Tragödie nachzuvollziehen: Die Videos sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen worden, zeigen das Geschehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln – und erlauben so eine detaillierte Analyse. Wie haben die Ordner reagiert? Wurden Zugänge gesperrt oder geöffnet? Wann und wo ist es zur Panik gekommen? Antworten finden sich in Youtube. Allerdings wird die Auswertung des Materials Monate dauern, sagen Experten.
Auch andere Onlinedienste wie Twitter wurden vor, während und nach der Loveparade genutzt. Wer sich den zeitlichen Verlauf Twitter-Protokolle anschaut, kann genau sehen, dass kurz nach 17 Uhr am vergangenen Samstag das Stichwort Loveparade plötzlich an Bedeutung gewonnen hat. Die Nachricht über das Unglück hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Besucher der Loveparade haben Twitter aber auch genutzt, um aus den Augen verlorenen Freunden zu sagen, dass es ihnen gut geht – oder um Freunde oder Verwandte zu suchen, um sich zu organisieren.
Viele haben auch Fotos von der Veranstaltung getwittert – oder auf flickr hochgeladen. Kurz: Das Netz ist voll mit Dokumenten jeder Art. Das Web bildet die Wirklichkeit ab, das gilt insbesondere für das sogenannte Echtzeit-Web, das Web 2.0. Dazu gehören Onlinedienste wie Youtube, Twitter, flickr, Facebook und Co., denn hier können die Benutzer jederzeit Inhalte hochladen – und kommentieren.
Und tun es auch. Was in diktatorischen Staaten wie Iran oder China genutzt wird, um die strengen Medienkontrollen zu umgehen, das bewährt sich bei uns, um die Wirklichkeit abzubilden, schneller und lückenloser als die traditionellen Medien, aber eben auch ungefiltert. Eine Einordnung findet trotzdem statt, weil über die hochgeladenen Berichte, Fotos und Videos diskutiert wird – in der Community. Auch Anteilnahme ist da, aus aller Welt kommen Kondolenzeinträge, von Menschen, die nicht begreifen können, was da in Duisburg passiert ist.
Das Web 2.0 erhöht erkennbar den Druck auf Politik, Veranstalter, Behörden – schon Tage vor dem Unglück war die Sicherheit auf der Loveparade Thema im Web. Mitte vergangener Woche warnte jemand im Portal der Zeitungsgruppe WAZ, dass es fast zwangsweise zu Problemen kommen muss, wenn auf einem Platz, der maximal 350.000 Leute aufnehmen kann, plötzlich 800.000 oder mehr Leute anwesend sind. Die Befürchtung hat sich leider bewahrheitet.