Die re:publica: Drei Tage lang haben rund 6000 Menschen, die sich mit dem Internet beschäftigen, in Berlin die Köpfe zusammengesteckt und über die Zukunft des Internet diskutiert. Wie soll man mit der Gewissheit umgehen, dass das Internet so stark überwacht wird? Mehr Widerstand – oder mehr Kompromissbereitschaft? Gleichzeitig nehmen sich Onlinekonzerne immer mehr Rechte raus, der Datenschutz ist gefährdet. Eine echte Lobby für ein freies Internet gibt es nicht. Doch genau das fordert Netzaktivist Sascha Lobo auf der re:publica: Eine schlagkräftige Lobby.
- Sascha Lobo ist kein Mann der leisen Töne. Auf der re:publica hat einer eine „Rede zur Lage der Nation“ gehalten. Und dann hat er den Zuhörern den Kopf gewaschen. Was war da los?
In der Tat: Sascha Lobo hat in seiner Rede einen Missstand angesprochen, für den viele der Anwesenden durchaus eine gewisse Verantwortung tragen. Dass zu wenig unternommen wird, um die Rechte der Internetnutzer zu stärken. Lobo hat süffisant und anschaulich erklärt, dass sich mehr Menschen aktiv für bedrohte Tierarten wie die Bekassine einsetzen als für die Freiheit im Internet. Die Bekassine – offizieller Vogel des Jahres 2013 – wird aktiv vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern unterstützt. Und allein der hat 120 Festangestellte – und ein siebenstelliges Budget.
Und wie viele Festangestellte kümmern sich um die Werte im Internet, die den meisten Netzaktivisten so wichtig sind? Es sind zwei Festangestellte. Die meisten Netzaktivisten betreiben ihre Arbeit zwar mit Leidenschaft, aber nebenher, neben dem Beruf. Es sind zahlenmäßig viel zu wenige. Es reiche nicht, sagt Lobo, regelmäßig eine Onlinepetition auf den Weg zu bringen oder auch nur anzuklicken. Es müsse mehr passieren.
- Wieso soll es ein Problem sein, wenn sich Menschen ehrenamtlich und nebenbei für Dinge engagieren?
Das ist grundsätzlich völlig in Ordnung und auch sinnvoll. Aber es entsteht ein ungeheures Ungleichgewicht. Denn Regierungen, Geheimdienste und Onlinekonzerne haben fast schon naturgemäß eine ungeheuer potente, starke Lobby. Menschen, die sich um nichts anderes kümmern als um ihr Anliegen. Wenn „die andere Seite“, also die Netzaktivisten, die sich um ein freies Internet bemühen, für Bürgerrechte im Netz eintreten zahlenmäßig unterlegen sind und nicht ihre komplette Energie in ihr Anliegen stecken können, dann ist das so, als würde man mit einer Nagelschere bewaffnet in den Kampf ziehen – während der Gegner mit Flugzeugträgern und Kanonen anrückt.
Das sind völlig ungleiche Machtgefüge. So gesehen muss man sich fast schon wundern, dass den Netzaktivisten doch immer wieder ein Coup gelingt. Sie schlagen sich gut, aber die anderen lernen dazu und rüsten auf. Das ist das Problem.
- Und wie sieht die Lösung für dieses Dilemma aus?
Ganz klar: Es muss mehr Geld her, um die Sache, an die so viele glauben finanziell zu unterstützen. Sascha Lobo fragt: Wieso spenden Eure Eltern Millionen für Umwelt- und Naturschutz – und Ihr nicht? Um beim Bild der Bekassine zu bleiben: Der Vogel ist den Eltern der Internet-Generation mehr wert als das freie Internet. Sascha Lobo fordert, auch mal bereit zu sein, für die eigenen Interessen was zu investieren.
Doch die Gratis-Mentalität überwiegt. Zigtausende Menschen haben zum Beispiel ein eBook bei der Digitalen Gesellschaft heruntergeladen, um sich zu informieren. Die Macher des eBooks haben aktiv um Spenden gebeten. Doch es wurde praktisch nichts gespendet, obwohl es wirklich für einen guten Zweck gewesen wäre und man sogar etwas heruntergeladen hat, ein eBook.
- Die Deutschen sind also zurückhaltend beim Spenden? Sonst sind die Deutschen doch Spenden-Weltmeister…
Das Stimmt. Die ältere Generation spendet auch. Aber die Jüngeren, um die es hier geht, die gerne ein freies Internet hätten, die sind äußerst zurückhaltend, sie spenden eigentlich so gut wie gar nicht. „Ihr twittert, aber Ihr überweist nicht!“, hat Sascha Lobo provokativ in Berlin gesagt. Und dieses Verhalten hat Folgen.
Wäre der finanzielle Unterbau anders, könnten sich Interessensverbände ausschließlich und intensiv um das Thema Freies Internet kümmern – in Vollzeit. Das würde den Argumenten zweifellos zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Das scheint zwingend nötig, will man künftig nicht mit den Positionen untergehen.
- Und jetzt: Wie geht’s weiter?
Die Netzgemeinde diskutiert jetzt die Vorwürfe und auch Vorschläge von Sascha Lobo. Gut möglich, dass seine Vorschläge und Anregungen fruchten und was bringen. Lobbyvereine wie Netzpolitik oder die Digitale Gesellschaft machen schon eine ganz gute Arbeit, aber sie könnten eindeutig auch Geld gebrauchen, um sich zu professionalisieren. Warten wir’s ab, ob sich was ändert. Ich bin skeptisch.