Die britische Regierung bittet ihre Bürger, alte E-Mails zu löschen. Der Grund? Wassermangel. Was zunächst absurd klingt, offenbart eine versteckte Wahrheit über unseren digitalen Alltag.
England erlebt gerade die schlimmste Dürre seit 1976. Fünf Regionen sind offiziell betroffen, die Wasserstände sinken dramatisch. Die Regierung ruft zu Sparmaßnahmen auf: Kürzer duschen, Gärten nicht sprengen, tropfende Wasserhähne reparieren. Soweit, so normal.
Dann aber kommt eine Empfehlung, die selbst Digitalexperten aufhorchen lässt: „Löschen Sie alte E-Mails und Fotos, da Rechenzentren große Mengen Wasser benötigen, um ihre Systeme zu kühlen.“ Was hat mein überquellender Gmail-Posteingang mit der Wasserkrise zu tun?

Das versteckte Wasserproblem der Digitalisierung
Die Antwort führt uns in eine oft übersehene Realität unserer vernetzten Welt. Jede E-Mail, jedes Foto in der Cloud, jedes TikTok-Video existiert physisch – gespeichert auf Servern in riesigen Rechenzentren. Und diese Anlagen sind wahre Energiefresser und Wasserschlucker.
Die nackten Zahlen sind beeindruckend: Ein mittelgroßes Rechenzentrum verbraucht täglich so viel Wasser wie eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Google gab 2022 offen zu, über 20 Milliarden Liter Frischwasser verbraucht zu haben – so viel wie eine Stadt mit etwa 450.000 Einwohnern im ganzen Jahr.
Aber warum Wasser? Die Tausenden Server in Rechenzentren laufen rund um die Uhr und erzeugen dabei enorme Hitze. Ohne effektive Kühlung würden sie binnen Minuten überhitzen und ausfallen. Viele Anlagen setzen auf Wasserkühlung – entweder direkt über Kühlkreisläufe oder indirekt über Verdunstungskühlung, bei der Wasser verdunstet und dabei Wärme abführt.

Der unsichtbare Fußabdruck unserer E-Mails
Nach Berechnungen der französischen Denkfabrik „The Shift Project“ verbraucht eine durchschnittliche E-Mail etwa 1,7 Gramm Wasser. Das klingt lächerlich wenig – bis man bedenkt, dass weltweit täglich über 330 Milliarden E-Mails verschickt werden. Das Problem verschärft sich durch Redundanz: Jede E-Mail wird oft auf 3-5 verschiedenen Servern gespeichert, für Sicherheit und schnelle Verfügbarkeit.
Ein in der Cloud gespeichertes Foto verbraucht etwa 0,2 bis 0,5 Gramm Wasser pro Jahr. Bei geschätzten 1,8 Billionen jährlich gespeicherten Fotos summiert sich auch das gewaltig.
Besonders wasserintensiv sind übrigens KI-Anwendungen: Forscher der Universität von Kalifornien fanden heraus, dass eine Unterhaltung mit ChatGPT etwa 500 Milliliter Wasser verbraucht – so viel wie eine kleine Wasserflasche. Der Grund: KI-Modelle benötigen massive Rechenleistung, die entsprechend viel Kühlung erfordert.
Macht individuelles Löschen einen Unterschied?
Die ehrliche Antwort: Als Einzelperson minimal. Aber in der Masse durchaus. Forscher der Universität Cambridge berechneten 2023: Wenn jeder Deutsche seine E-Mails auf 1.000 begrenzen und unnötige Fotos löschen würde, könnte das den Wasserverbrauch deutscher Rechenzentren um 2-3 Prozent reduzieren.
Das klingt wenig, bedeutet aber in absoluten Zahlen etwa 50 Millionen Liter Wasser pro Jahr – genug, um eine Kleinstadt einen Tag lang zu versorgen. Der Effekt tritt allerdings erst ein, wenn sich dadurch die Anzahl benötigter Server reduziert. Einzelne gelöschte E-Mails ändern zunächst nichts.

Was können wir wirklich tun?
Sofort umsetzbar sind einige simple Maßnahmen: E-Mail-Postfächer regelmäßig ausmisten, besonders Newsletter und Spam-Mails. Fotos vor dem Upload komprimieren und Duplikate vermeiden. Streaming-Qualität bewusst wählen – muss es wirklich immer 4K sein?
Die wirksamste Alternative: Externe Festplatten statt Cloud-Speicher. Lokale Speicher verbrauchen praktisch kein Wasser für die Datenhaltung. Wer wichtige Dateien auf der eigenen Festplatte statt in der Cloud speichert, reduziert den Bedarf an wasserintensiven Rechenzentren.
Das Fraunhofer Institut analysierte 2024: Wenn jeder Deutsche seine digitalen Gewohnheiten nur um 10 Prozent reduziert, könnte das den Wasserverbrauch der IT-Infrastruktur um mehrere Millionen Liter pro Jahr senken.
Die Industrie sucht Lösungen – aber der Durst wächst
Die Tech-Branche hat das Problem erkannt. Microsoft testet Unterwasser-Rechenzentren mit Meerwasserkühlung. Google setzt verstärkt auf Luftkühlung. Finnische Anlagen nutzen die Abwärme zum Heizen ganzer Stadtteile – das kann den Wasserverbrauch um bis zu 40 Prozent reduzieren.
Amazon kündigte an, bis 2030 „water positive“ zu werden – also mehr Wasser zurückzugeben als zu verbrauchen. Doch trotz aller Effizienzsteigerungen wächst unser Datenverbrauch schneller als die Einsparungen.
Ein Weckruf für bewussteren Digitalkonsum
Der britische Appell mag ungewöhnlich klingen, macht aber auf ein fundamentales Problem aufmerksam: Unsere digitale Welt hat einen sehr realen ökologischen Fußabdruck. Jeder Klick, jede gespeicherte Datei, jeder Streaming-Abend verbraucht Ressourcen – nicht nur Strom, sondern auch Wasser.
Die großen Lösungen müssen von der Industrie kommen: effizientere Kühlung, erneuerbare Energien, intelligentere Datenverteilung. Aber auch wir können durch bewussteren Umgang mit digitalen Diensten einen Beitrag leisten.
Der erste Schritt ist Bewusstsein: Hinter jedem digitalen Service stehen reale Rechenzentren mit realem Ressourcenverbrauch. E-Mails löschen wird die Wasserkrise nicht lösen – aber es ist ein Symbol für einen bewussteren Umgang mit unserer zunehmend digitalen Welt.
Vielleicht ist es Zeit, dass wir alle mal unsere digitalen Gewohnheiten überdenken. Nicht nur wegen des Wassers – sondern weil bewusster Konsum in jeder Form gut tut.