Es ist wieder so weit: Dezember, die Zeit der besinnlichen Momente, Glühwein, Weihnachtsmärkte – und natürlich Spotify Wrapped. Wie jeden Winter flattern die bunten Jahresrückblicke auf unsere Smartphones. Spotify, YouTube, Apple Music – alle wollen uns zeigen, was wir das Jahr über gehört und geschaut haben.
Und wie jedes Jahr gibt es zwei Lager: Die einen teilen stolz ihre Top-Songs in den sozialen Medien, die anderen schauen auf ihre Zahlen und denken: „Das kann unmöglich stimmen!“
„40.000 Minuten? Ich hab doch nur nebenbei gehört!“
Die Kommentare in den sozialen Medien sprechen Bände. „Ich soll 60.000 Minuten Musik gehört haben? Das wären 1.000 Stunden. Ich sitze doch nicht den ganzen Tag mit Kopfhörern rum!“ Oder: „Mein Lieblings-Podcast taucht überhaupt nicht auf, obwohl ich den jeden Morgen höre!“ Besonders bei Podcast-Hörern häufen sich die Beschwerden. Ist Spotify etwa kaputt? Rechnet da was nicht richtig?
Die gute Nachricht: Meist stimmt alles. Die weniger gute: Die Zahlen zeigen uns manchmal mehr, als uns lieb ist. Und es gibt ein paar Feinheiten, die viele nicht kennen.
Der Stichtag, den keiner auf dem Schirm hat
Fangen wir mit dem größten Missverständnis an: Spotify Wrapped erfasst nicht das ganze Jahr. Der Stichtag liegt Ende Oktober. Alles, was ihr ab November hört, landet erst im nächsten Wrapped. Habt ihr im Spätherbst einen neuen Lieblings-Podcast entdeckt? Taucht in diesem Jahr nicht auf. Der Song, den ihr im Dezember rauf und runter gehört habt? Fehlt in der Liste.
Das ist besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, dass viele Menschen gerade in der dunklen Jahreszeit mehr Musik hören. Aber hey, so ist das eben mit den Datenauswertungen – irgendwo muss man die Grenze ziehen. Spotify braucht ja auch ein paar Wochen, um die Millionen von Nutzerdaten auszuwerten und die schicken Grafiken zu basteln.
Musik und Podcasts: Getrennte Welten
Hier kommt der nächste Knackpunkt: Spotify trennt bei der Auswertung zwischen Musik und Podcasts. Die beiden Kategorien konkurrieren nicht direkt miteinander. Ein Podcast, der täglich 30 Minuten läuft, wird anders gewichtet als ein Drei-Minuten-Song, der 200 Mal läuft.
Wenn ihr viel zwischen Musik und Podcasts wechselt, kann das die Rankings ordentlich durcheinanderbringen. Euer gefühlt meistgehörter Podcast steht dann plötzlich nicht auf Platz 1, weil die reine Hörzeit anders gewichtet wird als bei Musik. Und bei Songs gilt: Mindestens 30 Sekunden müssen gelaufen sein, damit er als „gehört“ zählt. Kurz reingeklickt und weitergesprungen? Zählt nicht.
Die Sache mit den unglaublichen Stundenzahlen
Jetzt zu den Zahlen, die viele am meisten schockieren: Die Gesamthörstunden. „Ich habe angeblich 1.500 Stunden gehört – das sind über 60 Tage non-stop. Das kann nicht sein!“
Doch, kann es. Und zwar leichter, als man denkt. Rechnen wir mal zusammen:
- Morgens beim Frühstück: 30 Minuten
- Auf dem Weg zur Arbeit: 45 Minuten
- Beim Arbeiten als Hintergrundmusik: 4 Stunden
- Abends beim Kochen und Essen: 1 Stunde
- Vor dem Schlafengehen: 30 Minuten
Macht zusammen 7 Stunden pro Tag. An 365 Tagen im Jahr sind das 2.555 Stunden. Ups.
Das Verrückte: Es fühlt sich nicht nach viel an. Musik läuft halt nebenbei. Beim Arbeiten, beim Sport, beim Autofahren, beim Putzen. Erst wenn Spotify uns die Gesamtsumme präsentiert, wird uns bewusst, wie omnipräsent Streaming in unserem Alltag geworden ist.
YouTube und Apple Music machen’s anders
YouTube erfasst übrigens das ganze Jahr bis Anfang Dezember – aber nur Videos, die ihr wirklich angeklickt habt. Was automatisch im Autoplay weiterlief, zählt oft nicht. Das kann erklären, warum manche Kanäle fehlen, die ihr gefühlt ständig schaut.
Apple Music ist da entspannter: Der Dienst aktualisiert eure Statistik wöchentlich. Ihr könnt das ganze Jahr über nachschauen, wie euer aktueller Stand aussieht. Der Jahresrückblick ist dann nur noch die finale Zusammenfassung. Praktisch, wenn man nicht bis Dezember warten will.
Was die Plattformen alles über uns wissen
Die Jahresrückblicke sind nett anzuschauen, aber sie haben auch eine ernste Seite: Sie machen sichtbar, wie viel die Plattformen über uns wissen. Jeder Song, jeder Podcast, jedes Video wird protokolliert. Mit Uhrzeit, Datum, Gerät, Standort. Diese Daten werden nicht nur für die bunten Grafiken genutzt, sondern auch für Empfehlungen, Werbung und Analysen.
Das muss nicht per se schlimm sein. Personalisierte Empfehlungen können durchaus hilfreich sein. Aber es lohnt sich, ab und zu mal nachzuschauen, was da so alles gespeichert ist. Bei Spotify geht das unter „Einstellungen“ → „Datenschutz“ → „Datenanforderung“. Dauert ein paar Tage, dann bekommt ihr eine Datei mit eurem kompletten Hörverlauf. Jeden. Einzelnen. Song.
Bei YouTube findet ihr das unter „Meine Daten“ im Google-Konto. Apple Music zeigt’s euch in den Datenschutz-Einstellungen.
Der Privat-Modus ist euer Freund
Wer verhindern will, dass bestimmte Dinge in der Statistik landen, nutzt am besten den Privat-Modus. Bei Spotify heißt der „Private Session“, bei YouTube könnt ihr den Verlauf pausieren. Perfekt, wenn ihr Guilty-Pleasure-Songs hört, die nicht im Jahresrückblick auftauchen sollen. Oder wenn die Kinder mit eurem Account ihre Kinderlieder hören.
Kleiner Tipp: Den Privat-Modus nicht vergessen wieder auszuschalten. Sonst wundert ihr euch nächstes Jahr, warum euer kompletter Musikgeschmack aus dem Wrapped verschwunden ist.
Unterhaltsam, aber mit Nachgeschmack
Die Jahresrückblicke sind clever gemacht. Sie geben unserem Medienkonsum eine Geschichte, machen aus „Nebenbei-Hören“ etwas Teilbares. Der soziale Vergleich funktioniert bestens – wer hat mehr gehört, wer den ausgefalleneren Geschmack?
Gleichzeitig sollten uns diese bunten Grafiken zum Nachdenken bringen. Nicht über unseren Musikgeschmack – der ist Geschmackssache. Sondern darüber, wie transparent unser digitales Leben geworden ist. Die Streaming-Dienste kennen unsere Gewohnheiten besser als wir selbst.
Ist das schlimm? Nicht automatisch. Aber es schadet nicht, sich dessen bewusst zu sein. Und ab und zu mal in die Einstellungen zu schauen, was da so alles über uns gespeichert ist. Denn eines ist sicher: Die Daten werden nicht nur für lustige Jahresrückblicke genutzt.
In diesem Sinne: Frohes Wrappen! Und vergesst nicht, auch mal die Kopfhörer abzunehmen und in die echte Welt zu lauschen. Die hat auch ganz gute Sounds zu bieten.