Die sozialen Netzwerke – mal gut, mal böse

von | 08.06.2013 | Tipps

An den sozialen Netzwerken scheiden sich die Geister: Die einen finden sie richtig klasse und wollen ohne gar nicht mehr leben, die anderen halten sie für Teufelswerk und würden niemals auch nur eine Minute darin verbringen. Die aller meisten sehen es aber vermutlich eher pragmatisch: Es gibt sie nun mal – warum nicht für die eigenen Zwecke verwenden?

Welchen durchaus positiven Nutzen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter haben, zeigt sich in diesen Tagen wieder: In der Überflutungsgebieten wird darüber Hilfe organisiert, in der Türkei der Protest gegen die Regierung. Aber halt: Nicht alle sehen es positiv, dass sich die Menschen über die sozialen Netzwerke organisieren.

In Süd- und  Ostdeutschland klettern die Pegel – und in den sozialen Netzwerken wird Hilfe organisiert. Was passiert hier so alles?

Es ist wirklich beeindruckend, was und wie über Facebook Hilfe organisiert wird. Auf Facebook gibt es spezielle Seiten, nach Regionen unterteilt, auf denen sich Hilfesuchende und Helfende sozusagen treffen. Wer kann mit anpacken und Möbel aus dem Haus schaffen, wer kann Sandsäcke schleppen und stapeln, wer einen kleinen Laden ausräumen helfen? Bei Facebook schreiben die Menschen ganz konkret, welche Hilfe sie brauchen – und wer helfen kann und will, kann sich die passenden Aufgaben heraussuchen, mitteilen dass er kommt und loslegen.

Bei Twitter funktioniert das ganz ähnlich, wenn auch anders strukturiert. Hier gibt es natürlich keine direkten Übersichtsseiten, aber entsprechende Hashtags wie #hochwasser #dresden. Die Anfragen sind teilweise noch etwas konkreter, noch zeitnaher, die Antworten ebenfalls, denn man kann mit seinem Smartphone in der Hand Twitter quasi nutzen wie ein Funkgerät, nur dass man mit fremden „funkt“. Man entdeckt eine Anfrage und reagiert direkt. Der Umfang der Hilfsbereitschaft ist schon enorm. Wo man früher schwarze Wände und Pinnwände hatte, da verwendet man heute eben Facebook, Twitter und Co. – was eine Menge Zeit sparen hilft.

  • Die privat organisierte Hilfe wird generell positiv gesehen, aber mitunter auch kritisiert. Wieso?

Klar, Kritik gibt es auch, vor allem schon mal von den einschlägig bekannten Hilfsorganisationen, die natürlich am liebsten alles offiziell und zentral organisiert sehen wollen. Es ist halt nicht auszuschließen, dass am einen Deich zu viele und am anderen Deich gar keine helfenden Hände bereitstehen, wenn alles privat organisiert wird. Auf der anderen Seiten: Es werden derart viele Hilfsaktionen direkt unter den Menschen organisiert, das ist schon beeindruckend – und entastet die Hilfsmannschaften vor Ort, egal ob Feuerwehr, THW oder Katastrophenschutz natürlich enorm.


  • Auch in der Türkei, in Istanbul organisieren sich die Menschen derzeit mit Hilfe der sozialen Netzwerke. Hier, um ihre Proteste und Demoaktionen gegen Erdogan zu organisieren – auch das scheint gut zu funktionieren.

Allerdings. Bei den aktuellen Protesten in der Türkei spielen die sozialen Netzwerke eine wichtige Rolle: Demonstranten und Aktivisten vernetzen sich und haben eine unkomplizierte und schnelle Möglichkeit, sich zu verabreden und zu organisieren. Auch wenn die mancherorts gezogenen Vergleiche zum Arabischen Frühling mitunter hinken: Auch in der Türkei ist diese Form der Kommunikation in diesen Tagen des Protests ein wichtiges Werkzeug.

Gerade Twitter wurde in der ersten Nacht des Protests zur Informationsplattform: Unter Hashtags wie #occupygezi, #direngezipark, #geziparki oder #resistanbul twitterten Demonstranten Fotos von Menschenmengen und Verletzen, von Tränengasangriffen und Polizisten. Natürlich gibt es jede Menge aktueller Lageberichte in 140 Zeichen, aber auch viele Beschwerden, dass das türkische Fernsehen nicht ausreichend über die Proteste berichtet. Internationale Medien wurden zur Berichterstattung aufgefordert, Tweets übersetzt, aber auch Gerüchte gestreut.

  • Ministerpräsident Erdogan schätzt die sozialen Netzwerke nun aber gar nicht. Er sieht in Twitter und Co., so wörtlich, „eine Bedrohung für die Gesellschaft“. Wieso?

Erdogan behauptet, auf Twitter und Co. seien „Lügen“ zu finden. Er behauptet auch, viele Aktionen seien vom Ausland gesteuert. Aber damit macht er es sich natürlich viel zu einfach. In Wahrheit sind Facebook und Twitter für ihn extrem unbequem, nachvollziehbar. Und was ist der typische Reflex, wenn so etwas passiert? Man unterstellt Lügen oder Manipulation oder stellt ein Medium gleich einfach komplett in Frage. Es dürfte Erdogan extrem verunsichern, welche Wucht die sozialen Netzwerke entfalten können – nicht aus sich selbst heraus, sondern weil die Menschen die sich bietenden Möglichkeiten für sich nutzen.

Genau das wird aber immer wieder übersehen: Das Medium ist nur ein Träger, ein Container, je nachdem, es sind die Menschen, die etwas daraus machen, und das ist vielen unheimlich. Erdogan ganz sicher. Die Polizei hat dann ja auch mehrere Dutzend Twitter-Nutzer ausfindig gemacht und festnehmen lassen – zweifellos eine Form der Einschüchterung.

 

  • Die heftige Kritik an Twitter und Co. aus Kreisen der türkischen Regierung erstaunt ja auch deshalb viele, weil einige Regierungsmitglieder diese Medien durchaus für sich nutzen und aktiv twittern. Präsident Gül zum Beispiel hat einen Twitter-Account mit 3,1 Millionen Followern, Wie passt das zusammen?

Das passt gar nicht zusammen. Ein Medium auf der einen Seite zu nutzen und auf der anderen Seite zu verteufeln, wenn einem die Inhalte nicht passen, ist durchschaubar und wenig demokratisch.

Aber dieses Phänomen beobachten wir eben nicht nur in der Türkei, sondern auch bei uns. Plötzlich reden alle positiv von den sozialen Netzwerken, eben weil darüber Hilfen in den Überflutungsgebieten organisiert werden. Dass so etwas nützlich und positiv ist, erschließt sich jedem mühelos, selbst wenn er die Dienste nicht selbst nutzt. Doch sobald die Wasserpegel sinken, geraten die Datenschutzbedenken wieder in den Vordergrund, die Sorge, dass Daten gesammelt werden oder was alles Böses in den Netzwerken passieren kann. Dann werden die Netzwerke wieder gerne kritisch gesehen. Es ist an der Zeit, zu akzeptieren, dass die Medaille zwei Seiten hat

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