Was ChatGPT & Co. wirklich über uns wissen – und wie wir es herausfinden

von | 26.05.2025 | KI

KI-Chatbots sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Jeden Tag tippen Millionen von uns ihre Fragen in ChatGPT, Copilot oder Claude. Wir lassen uns Texte schreiben, Probleme lösen, sogar persönliche Entscheidungen durchdenken. Praktisch, schnell – und mittlerweile völlig normal.

Aber habt Ihr Euch schon mal gefragt: Was weiß so ein KI-Chatbot eigentlich über mich? Die Antwort ist überraschender – und beunruhigender – als die meisten denken. Denn die KI-Unternehmen sammeln längst nicht nur das, was wir bewusst eingeben.

Das große Missverständnis: „Der Chatbot weiß nur, was ich ihm sage“

Die meisten Menschen denken: Ein Chatbot wie ChatGPT kann doch nur wissen, was ich ihm direkt erzähle. Das ist ein gefährlicher Irrtum. KI-Unternehmen sammeln Daten auf mindestens drei verschiedenen Ebenen – und viele davon passieren völlig im Verborgenen.

Erstens sammeln sie natürlich alles, was wir direkt eingeben. Unsere Fragen, unsere Probleme, manchmal sogar sehr persönliche Details. Eine Studie der Universität Washington von 2024 zeigt: Nutzer teilen in Gesprächen mit KI-Chatbots deutlich mehr private Informationen als in normalen Suchmaschinen. Warum? Weil sich das Gespräch so natürlich anfühlt. Viele „sprechen“ heute mit ihrem Chatbot über Gesundheitsprobleme, Beziehungsstress oder finanzielle Sorgen.

Zweitens erfassen sie Metadaten: Wann nutzt Ihr den Chatbot? Wie lange? Welche Themen interessieren Euch besonders? Sogar Euer Schreibstil wird analysiert. OpenAI gibt offen zu, dass sie „Nutzungsmuster“ auswerten, um ihre Modelle zu verbessern. Das Ziel: Der Chatbot soll sich wie ein guter Freund verhalten, der unsere Eigenarten kennt.

Drittens – und das wissen die wenigsten – fließt unser „digitaler Fußabdruck“ oft schon vor dem ersten Gespräch ein. KI-Modelle werden mit öffentlichen Daten trainiert: Webseiten, sozialen Medien, Foren. Wenn Ihr dort aktiv seid, kennt die KI möglicherweise schon Texte von Euch, bevor Ihr das erste Mal mit ihr sprecht.

Microsoft hat für Copilot sogar zugegeben, dass sie Daten aus Office 365 nutzen können – falls Euer Arbeitgeber das erlaubt. E-Mails, Dokumente, Kalendereinträge – alles kann einfließen, um den Chatbot „personalisierter“ zu machen.

copilot saugt

Der Speicher-Schock: Eure Gespräche verschwinden nicht

Hier kommt die ernüchternde Wahrheit: Die meisten großen Anbieter speichern Eure Gespräche dauerhaft.

OpenAI speichert ChatGPT-Unterhaltungen standardmäßig 30 Tage zur „Sicherheitsüberwachung“. Aber: Wer möchte, kann diese Gespräche auch dauerhaft im Account speichern lassen. Viele machen das unbewusst, weil es praktisch ist, alte Gespräche wiederzufinden.

Google behält Gespräche mit Gemini bis zu 18 Monate. Microsoft Copilot: bis zu 30 Tage, mit Ausnahmen im Geschäftsbereich.

Das Problem: Selbst wenn die Gespräche „gelöscht“ werden, bedeutet das nicht, dass die Informationen verschwinden. Eine Analyse des MIT Technology Review zeigt: Die Unternehmen nutzen die Gespräche, um ihre Modelle zu trainieren. Was einmal ins Training eingeflossen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die KI hat es gelernt – und das bleibt.

Einige Anbieter bieten zwar einen „Inkognito-Modus“ an – bei OpenAI heißt das „ChatGPT ohne Verlauf“. Aber auch hier werden die Gespräche 30 Tage lang gespeichert, angeblich nur zur Missbrauchskontrolle.

Der überraschende Selbsttest: „Was weißt du über mich?“

Hier wird es richtig interessant: Ihr könnt Eure Chatbots einfach direkt fragen, was sie über Euch wissen. Und die Antworten sind oft schockierend detailliert.

Es gibt mittlerweile eine ganze Bewegung in sozialen Medien, wo Menschen ihre Chatbots mit genau solchen Fragen konfrontieren. Die effektivsten Fragen, die Forscher identifiziert haben:

„Basierend auf unseren Gesprächen – was ist eine Sache, die du über mich weißt, die ich selbst vielleicht nicht bewusst wahrnehme?“

Das deckt oft unbewusste Muster auf. Ein Nutzer berichtete mir, dass ChatGPT ihm sagte: „Du stellst oft Fragen über Produktivität, aber fragst nie nach Work-Life-Balance. Das könnte bedeuten, dass du Schwierigkeiten hast, abzuschalten.“

„Welche drei Wörter würden meine Persönlichkeit am besten beschreiben?“

Das zeigt, wie Ihr auf andere wirkt. Typische Antworten: „Analytisch, hilfsbereit, perfektionistisch“ oder „Kreativ, ungeduldig, wissbegierig“.

„Was sind meine größten blinden Flecken oder Schwachstellen?“

Das kann schmerzhaft ehrlich sein – aber sehr aufschlussreich. Ein Beispiel: „Du bittest oft um Hilfe bei komplexen Problemen, aber selten bei zwischenmenschlichen Themen. Du könntest von mehr emotionaler Unterstützung profitieren.“

Es gibt verschiedene ChatGPT Versionen: Wo sind die Unterschiede?
Es gibt verschiedene ChatGPT Versionen: Wo sind die Unterschiede?

Eine bahnbrechende Studie der Auburn University von 2024 beweist: KI-Chatbots können Persönlichkeitsmerkmale genauso gut oder sogar besser einschätzen als traditionelle Persönlichkeitstests. Die Forscher ließen Studenten sowohl klassische Tests machen als auch mit einem Chatbot sprechen – und die KI-Analyse war teilweise präziser bei der Vorhersage von Studienerfolg und sozialer Anpassung.

Der gläserne Nutzer: Erkennung ohne Account

Noch erschreckender: KI-Systeme können Euch oft auch ohne Account identifizieren. Forscher der Carnegie Mellon University haben 2024 gezeigt: KI-Systeme erkennen Nutzer anhand ihres Schreibstils, ihrer Themeninteressen und sogar ihrer Tippgewohnheiten. Das nennt sich „Stylometrie“ – und es funktioniert erschreckend gut.

Ein konkretes Beispiel: Ihr fragt heute ChatGPT nach Rezepten für Diabetiker. Morgen, von einem anderen Gerät, fragt Ihr nach Blutzuckermessgeräten. Übermorgen nach Sportprogrammen für Ältere. Auch ohne Account kann die KI diese Muster erkennen und ein Profil erstellen: wahrscheinlich ältere Person mit Diabetes, die sich um ihre Gesundheit kümmert.

Hinzu kommen Browser und IP-Adresse, die schon viel verraten: Region, Geräte, Nutzungszeiten.

Eine Studie der Electronic Frontier Foundation warnt: Wer regelmäßig nach psychischen Problemen, Krankheiten oder rechtlichen Fragen sucht, hinterlässt ein sehr detailliertes Profil – auch ohne je seinen Namen zu nennen.

Datenanfragen: Das Recht auf Klarheit nutzen

In Europa haben wir dank der DSGVO das Recht auf eine Kopie unserer Daten. Aber die Realität ist ernüchternd:

Bei OpenAI könnt Ihr über die Account-Einstellungen Eure Daten anfordern. Dauert bis zu 30 Tage. Ihr bekommt dann eine Datei mit allen Gesprächen und gespeicherten Informationen.

Bei Google geht es über „Google Takeout“ – relativ schnell und einfach.

Bei Microsoft müsst Ihr eine formelle Datenanfrage über ein Webformular stellen. Kann mehrere Wochen dauern.

Aber Achtung: Ihr bekommt nur die direkten Gesprächsdaten. Nicht die indirekten Profile, die aus Eurem Verhalten erstellt wurden. Und schon gar nicht die Informationen aus dem Training mit öffentlichen Daten.

Ein Forscherteam der Universität Berkeley hat das 2024 getestet: Sie stellten bei allen großen Anbietern Datenanfragen. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Unternehmen gaben nur die offensichtlichen Daten heraus – die wirklich interessanten Daten blieben verborgen.

Was Ihr konkret tun könnt

Die gute Nachricht: Wir haben mehr Kontrolle, als viele denken. Aber wir müssen aktiv werden.

Sofort umsetzbar:

  • In den Account-Einstellungen den Gesprächsverlauf deaktivieren. Bei ChatGPT unter „Data Controls“, bei Google in den Aktivitätseinstellungen.
  • Alle paar Wochen Gesprächsverläufe manuell löschen.

Bewusster eingeben: Statt „Ich bin 45 und habe Diabetes“ schreibt „Person mit Diabetes“. Die KI versteht trotzdem, was Ihr meint.

Für Technik-Affine: VPN nutzen, verschiedene Browser für verschiedene Themen, regelmäßig Cookies löschen.

Der wichtigste Tipp: Datenschutzerklärungen lesen – zumindest die Abschnitte über KI und Training. Die ändern sich ständig. OpenAI hat seine Richtlinien allein 2024 dreimal angepasst.

Für Aussteiger: Es gibt datenschutzfreundlichere Alternativen. Open-Source-KIs wie Ollama laufen komplett lokal auf dem eigenen Computer. Kein Internet, keine Datenübertragung. Mit Tools wie Pinokio könnt Ihr viele Chatbots wie Llama oder Mistral auf dem eigenen Rechner laufen lassen.

Fazit: Wissen ist Macht – auch über uns selbst

KI-Chatbots wissen mehr über uns, als die meisten ahnen. Sie speichern nicht nur unsere Fragen, sondern analysieren unser Verhalten, unsere Muster, unsere digitalen Spuren. Die Kontrolle zurückzugewinnen ist möglich – aber sie fällt uns nicht in den Schoß.

Die zentrale Frage bleibt: Wollen wir praktische KI-Helfer – oder wollen wir Privatsphäre? Beides gleichzeitig ist schwer. Aber unmöglich ist es nicht. Wir müssen nur wissen, wo die Schalter sind.

Probiert den Selbsttest aus: Fragt Euren Chatbot, was er über Euch weiß. Ihr werdet überrascht sein – und hoffentlich auch ein bisschen schlauer im Umgang mit dieser mächtigen Technologie.