Google Gemini 3: Der Jäger wird zum Gejagten

von | 07.12.2025 | KI

Vor drei Jahren löste ChatGPT bei Google einen internen Alarm aus. CEO Sundar Pichai rief den „Code Red“ aus – Notfallmodus. Die eigene Suche, das Herzstück des Konzerns, schien plötzlich bedroht. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. OpenAI-Chef Sam Altman hat seinerseits den Notstand ausgerufen. Der Grund: Googles neues KI-Modell Gemini 3 übertrifft ChatGPT in wichtigen Bereichen deutlich.

Was Gemini 3 so besonders macht

Mitte November hat Google sein bisher leistungsfähigstes KI-Modell vorgestellt. Die Zahlen sprechen für sich: Gemini 3 Pro erreicht auf der LMArena-Bestenliste einen Rekordwert. In den wichtigsten Benchmark-Tests – Mathematik, logisches Denken, Multimedia-Verständnis – lässt es die Konkurrenz hinter sich. Beim „Humanity’s Last Exam“, der komplexes Expertenwissen und Reasoning testet, übertrifft es sogar OpenAIs GPT-5 Pro.

Doch Benchmarks erzählen nur einen Teil der Geschichte. Der eigentliche Fortschritt zeigt sich im Alltag. Gemini 3 versteht Zusammenhänge besser und braucht weniger präzise Anweisungen. Google selbst beschreibt es so: Das Modell erfasst „Tiefe und Nuancen“ und erkennt die Absicht hinter einer Anfrage – auch wenn diese nicht perfekt formuliert ist.

Diagramm zu Gemini 3 Deep Think Ergebnissen

Drei Jahre Entwicklung in Aktion

Der KI-Forscher Ethan Mollick hat den Unterschied zwischen 2022 und heute eindrucksvoll demonstriert. Er zeigte Gemini 3 einen alten Tweet über ChatGPT, in dem es um einen fiktiven „Bonbon-betriebenen Überlichtantrieb“ ging. Die damalige KI konnte darüber philosophieren. Gemini 3 hingegen baute innerhalb weniger Minuten einen voll funktionsfähigen, interaktiven Raumschiff-Simulator – mit grafischer Benutzeroberfläche und spielbaren Elementen. Die Antwort des Systems: „2022 konnte die KI den Antrieb beschreiben. 2025 kann die KI den Antrieb programmieren und dich das Schiff selbst fliegen lassen.“

OpenAI unter Druck

Die Reaktion bei OpenAI fiel entsprechend heftig aus. Sam Altman warnte seine Mitarbeiter vor „harten Zeiten“ und „wirtschaftlichem Gegenwind“. Das Unternehmen hat andere Projekte auf Eis gelegt, darunter geplante Werbefunktionen, um sich voll auf die Verbesserung von ChatGPT zu konzentrieren. Berichten zufolge ist der Nutzer-Traffic bei ChatGPT seit dem Gemini-3-Start um rund sechs Prozent gesunken.

Dabei hat OpenAI nach wie vor die größere Nutzerbasis: 800 Millionen wöchentlich aktive Nutzer bei ChatGPT gegenüber 650 Millionen monatlichen Nutzern bei Gemini. Doch die Dynamik hat sich umgekehrt. Im KI-Bereich kann sich die Hackordnung innerhalb von Monaten komplett ändern.

Googles heimlicher Vorteil

Was Google so gefährlich macht, ist nicht allein das bessere Modell. Es ist das Ökosystem drumherum. Gemini 3 wird direkt in die Google-Suche integriert, in Chrome, in Android, in Gmail und Google Docs. Milliarden von Nutzern bekommen Zugang zur neuen Technologie, ohne einen extra Dienst aufrufen zu müssen. OpenAI dagegen muss jeden Nutzer einzeln überzeugen, ChatGPT zu öffnen oder den neuen Browser Atlas zu installieren.

Google entwickelt zudem eigene KI-Chips, die sogenannten TPUs. Das macht das Unternehmen weniger abhängig von Nvidia und ermöglicht schnellere Entwicklungszyklen – zwischen Gemini 2.5 und Gemini 3 lagen nur sieben Monate.

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Die neuen Werkzeuge

Besonders spannend: Gemini 3 Deep Think, eine erweiterte Version für besonders komplexe Aufgaben. Diese Variante soll in den kommenden Wochen für zahlende Abonnenten verfügbar werden und könnte den Vorsprung gegenüber ChatGPT weiter ausbauen.

Mit Gemini 3 hat Google auch „Antigravity“ vorgestellt, eine Entwicklungsumgebung für KI-gestütztes Programmieren. Sie kombiniert ein Chat-Fenster mit einer Kommandozeile und einem Browser – alles in einer Oberfläche. Der Code-Agent kann selbstständig Programme schreiben, testen und die Ergebnisse direkt anzeigen. Das klingt nach einem Werkzeug für Profis, aber die Logik dahinter betrifft jeden: Wenn KI programmieren kann, kann sie letztlich alles tun, was auf einem Computer möglich ist – Dashboards bauen, Websites erstellen, PowerPoints gestalten, Dateien analysieren.

Eine weitere Neuerung: „Generative Interfaces“. Gemini 3 kann Antworten nicht mehr nur als Text liefern, sondern als interaktive Elemente – einen Kreditrechner etwa, eine Physiksimulation oder eine bildbasierte Erklärung eines Kunstwerks.

Die ironische Wendung

Fast vergessen: Der große KI-Durchbruch geht ursprünglich auf Google zurück. Das berühmte „Transformer“-Paper von 2017 mit dem Titel „Attention Is All You Need“ stammt von Google-Forschern. Diese Architektur bildet die Grundlage für ChatGPT, Claude und praktisch jedes moderne Sprachmodell. Viele der klügsten Köpfe bei OpenAI und Anthropic haben ihre Karriere bei Google begonnen.

Dass ausgerechnet OpenAI mit ChatGPT den Markt aufrollte, während Google zögerte, ist eine der großen Ironien der Tech-Geschichte. Pichai räumte später ein: Google hätte seinen Chatbot wohl ein paar Monate später gestartet – die Qualität war dem Konzern nicht gut genug für die eigene Marke. Diese Vorsicht kostete Boden. Jetzt scheint Google diesen Boden zurückzugewinnen.

Was das für dich bedeutet

Der Konkurrenzkampf zwischen Google und OpenAI ist für Nutzer eine gute Nachricht. Beide Unternehmen werden ihre Produkte schneller verbessern, Preise werden unter Druck geraten, neue Funktionen häufiger erscheinen. Die kostenlose Version von Gemini bietet bereits Zugang zu vielen Features, ChatGPT Plus kostet nach wie vor 20 Dollar im Monat.

Die eigentliche Frage ist eine andere: Wer wird zum Standard? ChatGPT hat derzeit noch den Vorteil, dass es für viele Menschen zum Synonym für KI geworden ist – so wie Google einst für die Internetsuche. Aber genau diesen Vorteil nutzt Google jetzt auf der anderen Seite. Wer die Google-Suche nutzt, wird automatisch mit Gemini konfrontiert. Die nächsten Monate werden zeigen, ob das reicht, um den Spieß endgültig umzudrehen.

Was heute schon feststeht: Die Ära, in der OpenAI praktisch konkurrenzlos war, ist vorbei. Und das zwingt alle Beteiligten, schneller und besser zu werden.