Normalerweise löschen Provider die Verkehrsdaten relativ schnell wieder

Das Aus für die Vorratsdatenspeicherung: Und jetzt?

Der EuGH hat erneut die deutsche Gesetzgebung der Vorratsdatenspeicherung gekippt. Das Gesetz darf so nicht angewendet werden. Eine Speicherung derart vieler Daten aller Bürger auf Vorrat ist unverhältnismäßig, sagt das Gericht. Feuer frei für QuickFreeze?

Seit nunmehr 20 Jahren sprechen wir in Deutschland immer wieder über die Vorratsdatenspeicherung. Ein Gesetz, das Provider dazu verpflichten soll, etliche Kommunikationsdaten der Bürger dauerhaft auf „Vorrat“ zu speichern – für den Fall, dass Polizei oder Strafverfolgungsbehörden sie brauchen. Zuletzt auf den Weg gebracht wurde die letzte Version dieser Verordnung noch von der Großen Koalition – Ende 2015.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will sie unbedingt haben: Sie begründet das stets damit, dass zum Beispiel nur so die Verbreitung von Abbildungen sexualisierter Gewalt an Kindern erfolgreich geahndet werden könnte.

Doch der EuGH hat die aktuelle Fassung des Gesetz am Montag dieser Woche erneut gekippt… Wie geht es jetzt weiter? Wird es einen weiteren Anlauf geben, das Gesetz doch durchzubringen – oder kommen Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung zum Einsatz?

Die Vorratsdatenspeicherung wurde erneut gekippt

2,3 Milliarden Datensätze pro Tag!

Die Vorratsdatenspeicherung soll Provider dazu verpflichten, diverse Verkehrsdaten anlasslos von uns allen zu speichern. Das sind vor allem relevante Metadaten: Wer hat wann mit wem telefoniert? Im Festnetz, aber auch im Mobilfunknetz. Wer hat wann wem eine SMS geschickt? Bei Mobilgeräten sollen auch die Ortsdaten gespeichert werden. Außerdem die IP-Adressen: Wann hat wer welche IP-Adresse vom Provider zugeteilt bekommen?

Das sind Daten, die der Polizei am meisten bringen, wenn sie zB herauszufinden wollen, wer Aufnahmen ins Netz gestellt hat. Diese Daten sollen laut der 2015 auf den Weg gebrachten aktuellen Version der VDS, die allerdings nach einem Gerichtsurteil seit 2017 auf Eis gelegt ist, mehrere Wochen gespeichert werden: 4 Wochen die Ortsdaten und 10 Wochen die IP-Adressen und Kommunikationsdaten. Laut Dachverband der Digital- und Internetwirtschaft kommen da täglich rund 2,35 Mrd. Datensätze zusammen. Inhalte wie Chats werden nicht gespeichert.

Die Argumente der Kritiker

Aber was genau kritisieren denn die Gegner der VDS?

Verschiedenes. Sie sei ein „Verordnungs-Zombie“, sagen die Kritiker. Zu Recht: Seit fast 20 Jahren ist die Verordnung immer wieder Thema bei uns in Deutschland. Wird als Gesetz verabschiedet, nur um wenig später von höchsten Gerichten wie etwa dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH wieder einkassiert zu werden.

Das Hauptargument: Das Gesetz stellt alle Menschen unter Generalverdacht. Es werden ja von allen Bürgern Daten gespeichert, als wären sie Verbrecher. Sensible Daten wie: Wer hat mit wem Kontakt? Wo ist man gewesen? S

Solche sensiblen Daten zu sammeln, stellt ein hohes Risiko dar. Denn früher oder später werden die Daten missbraucht. Entweder vom Staat selbst, oder bei den Providern, wo die Daten ja gespeichert werden. In einer freien Demokratie gehöre es sich nicht, alle unter Generalverdacht zu stellen und derart viele Daten zu sammeln. Das sehen die Gerichte weitgehend genauso und kassieren das Gesetz jedes Mal als „unverhältnismäßig“ und als „nicht verfassungskonform“ wieder ein. Weil der Staat seine Bürger nun mal nicht überwachen darf. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Die IP-Adresse lässt Rückschlüsse zu
Die IP-Adresse lässt Rückschlüsse zu

Google ja, Staat nein

Wir leben in einer absurden Welt: Google, Facebook und Co. haben 100x mehr Daten über jeden einzelnen von uns – und missbrauchen diese Daten jeden Tag. Sie verkaufen unsere Daten, machen sie zu Geld. Und nur die wenigsten stört es. Dem Staat wird aber prinzipiell misstraut – das war ja auch bei der Corona Warn App zu beobachten. Das halte ich nicht immer für den richtigen Weg. Zumindest in Deutschland haben wir wache Gerichte, die der Politik klare Grenzen ziehen.

Dennoch halte auch ich eine Vorratsdatenspeicherung für unzulässig. Zu riskant, dass Begehrlichkeiten entstehen und Missbrauch stattfindet. Gewollt oder ungewollt. Das geht nicht. Auf der anderen Seite spreche ich auch mit Kriminologen, die mir berichten: Wir bekommen Daten aus den USA über Fälle von Kindesmissbrauch, gehen der Sache nach und landen in der Sackgasse, weil uns hier die Daten fehlen.

Da will man sofort rufen: Her mit der VDS, da muss doch geholfen werden. Daher kann ich das Ansinnen der Bundesjustizministerin prinzipiell verstehen. Ich finde es allerdings einen Fehler, sich nur auf ein Werkzeug zu konzentrieren und alles andere sein zu lassen. Wer dieses Ziel ernsthaft verfolgt, muss flexibel sein.

nancy Faeser will Cyber-Abwehr stärken

Kommt jetzt QuickFreeze?

Ein wichtiger Punkt: Bundesjustizminister Buschmann begrüßt das EuGH-Urteil ja und favorisiert andere Methoden, die er für rechtsstaatlich hält. Eine nennt sich „QuickFreeze“.

Der Name verrät schon einiges über das Konzept: „Quick Freeze“ – schnelles Einfrieren also. Es ist ja so: Provider speichern durchaus einige Verkehrsdaten, insbesondere, wer wann welch IP-Adresse benutzt hat. Diese Daten sind für Strafverfolgungsbehörden sehr wichtig.

Allerdings löschen die meisten Provider die Daten oft schon nach wenigen Stunden, spätestens nach einigen Tagen, weil sie die Daten nicht brauchen – nicht mal mehr für eine Abrechnung, da heute alle eine Flatrate haben.

Die Idee bei QuickFreeze ist nun, dass auf richterliche Anordnung bei schweren Straftaten eine Anordnung zum QuickFreeze gegeben werden kann. Dann müssen die Provider die aktuellen Daten sowie alle aus der jüngsten Vergangenheit, die noch nicht gelöscht sind sowie zukünftige Verkehrsdaten speichern und herausgeben.

Dieses Verfahren ist rechtsstaatlich, da nicht alle Bürger im Verdacht stehen, nicht von allen Bürgern anlasslos Daten gespeichert werden, sondern nur bei begründeten Fällen und wenn ein Richter das anordnet. Über jeden Zweifel erhaben. Man muss es aber als Kompromiss sehen, denn natürlich stehen bei einer Vorratsdatenspeicherung immer deutlich mehr Daten zur Verfügung – und das auch garantiert. Auch von Kontaktpersonen zum Beispiel, die vorher nicht bekannt waren und für die es noch keine QuickFreeze-Anordnung gibt.

 

 

 

 

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