Wenn wir eins in den letzten Wochen gelernt haben, dann das: Nichts ist undenkbar. Selbst dass durchs Meer verlaufende Gas-Pipelines attackiert werden nicht. Der Anschlag auf die Gas-Pipelines NordStream 1 und 2 macht ein Problem überdeutlich: Unsere Infrastruktur ist angreifbar und verletzlich. Doch wie sieht es eigentlich mit Datenleitungen aus? Datenleitungen, die USA und Europa verbinden zum Beispiel? Die liegen auch unter Wasser, teilweise unter der Erde und transportieren gigantische Datenmengen. Was, wenn es zu Sabotage kommt – droht dann ein Internet-Aus in Europa?
Das ist ja ein Aspekt, über den sich die meisten gar keine Gedanken machen. Das Internet ist einfach da – und erledigt seinen Job. Aber wie fließen die Daten eigentlich genau um die Welt?
95% des globalen Datenverkehrs durch Seekabel
Es ist erstaunlich – aber 95% des globalen Datenverkehrs, also der Internetdaten, die Landesgrenzen überschreiten, fließt durch Seekabel. Also Kabel, die am Grund der Weltmeere liegen. Sie werden von Spezialschiffen aufwändig verlegt und am Meeresboden vergraben. Früher waren das Kupferkabel, heute sind das Glasfaserkabel. Die meisten davon sind armdick, manche haben sogar das Volumen eines Oberschenkels. Das Meiste davon sind Schutzschichten. Die eigentlichen Datenleitungen im Inneren sind vergleichsweise klein.
Rund 500 von solchen Megakabeln gibt es mittlerweile. Nicht wenige sind mehrere Tausend Kilometer lang und bilden quasi das Rückgrat des internationalen Datenaustauschs, auf dem das Internet basiert. Aneinandergereiht könnte man damit 30 Mal den Äquator umwickeln. Und es werden immer mehr. Viele denken, es kämen Satelliten zum Einsatz. Das ist aber nicht der Fall. Denn das wäre zum einen viel zu teuer, und zum anderen auch zu langsam. Denn es dauert Sekunden, bis die Daten rauf zum Satelliten und wieder runterkommen.
Droht Internet-Aus in Europa?
Unterstellen wir mal, es würde einem Angreifer gelingen, so ein Datenkabel im Meer zu zerstören: Würden dann in Europa die Datenlichter ausgehen?
Ganz so einfach ist das nicht. Wenn ein Datenkabel ausfällt, wäre das zweifellos spürbar, aber das würde nicht gleich den kompletten Datenverkehr lahmlegen. Man muss wissen: Das Internet ist in Zeiten des Kalten Krieges entstanden. Eine er wichtigsten Anforderungen war, dass eine zerstörte Datentrasse kein Problem darstellen darf. Und so ist es auch: Die Daten „suchen“ sich dann quasi eine andere Route – vollautomatisch.
Das ist eine der Qualitäten des Internets. Selbst wenn Datenpakete zeitversetzt ankommen, werden sie wieder richtig zusammengesetzt, Sollte eine wichtige Datentrasse ausfallen, laufen die Daten über eine andere Verbindung. Die ist dann natürlich stärker belastet, aber solange nicht das Maximum erreicht ist, wäre das kein Problem. Erst wenn mehrere Datentrassen zerstört werden – oder die Stellen, an denen die Datentrassen an Land gehen –, dürfte es zu einem Problem kommen.
EU hat kaum Kontrolle über Seekabel
Das Internet ist mehr oder weniger ja eine Erfindung der Amerikaner. Und auch die meisten großen Onlinedienste sitzen in den USA. Das bringt mir zu der Frage: Wem gehören diese Datenkabel denn?
Eine sehr wichtige Frage – denn wem die Kabel gehören, der hat natürlich auch die Kontrolle darüber. Früher haben vor allem große Kommunikationsunternehmen für die Verkabelung gesorgt. Vor allem amerikanische, aber auch British Telecom und viele andere. In den letzten Jahren verlegen verstärkt große US-Konzerne wie Google, Microsoft, Facebook, Amazon und Co. solche Kabel.
Sie wollen sich nicht abhängig machen von anderen Konzernen und verlegen selbst Kabel, um Länder oder Kontinente miteinander zu verbinden. Gerade verlegt ein chinesisches Konsortium, angeführt von Huawei ein Kabel, das sich „Peace“ nennt – Frieden. Es verbindet Asien mit Pakistan, Afrika und Europa. Eine Art neue „Seidenstraße“, rund 12.000 Kilometer lang und leistungsfähig genug, um 90.000 Stunden Netflix Inhalte pro Sekunde(!) zu übertragen. Den Europäern gehören aber fast keine eigenen Kabel mehr. Das macht den Kontinent in der Tat sehr abhängig von Ausländern: Sie bestimmen, welche Daten durch die Kabel fließen, auch ob – und wie gut diese geschützt sind. Eine beängstigende Bilanz. Wir Europäer haben kaum Kontrolle über eine der wichtigsten Komponenten des 21. Jahrhunderts.
Problem: Spionage
Wenn wir keine Kontrolle über die Kabel haben, können wir uns denn darauf verlassen, dass nicht zum Beispiel abgehört wird – ist das auch ein Problem?
Allerdings ist das ein Problem – auf mehreren Ebenen. Seit Edward Snowden wissen wir: Der amerikanische Geheimdienst hat Überseekabel im großen Stil abgehört – und macht es zweifellos immer noch. Es gibt ausgeklügelte Techniken, um auch Glasfaserkabel abzuhören. Wenn uns die Kabel nicht gehören, ist das Risiko groß, dass Amerikaner und zunehmend auch Chinesen Daten abgreifen.
Das macht deutlich, wie wichtig es ist, alles sicher zu verschlüsseln. Die gesamte Kommunikation im Internet. Die Russen besitzen sogar Spionageschiffe, die darauf spezialisiert sind, Seekabel zu bearbeiten und dort Spionageeinheiten anzubringen. Auch so etwas kommt vor – bereits seit zehn Jahren. All das zeigt: Wir sind in Europa nicht gut aufgestellt, von anderen abhängig und können grundsätzlich auch abgehört werden. Die EU nimmt das Thema nicht ernst genug, davor warnt auch die AG Kritis, die sich mit kritischer Infrastruktur beschäftigt.