Stellt euch vor, ihr habt einen Tresor mit einem Zahlenschloss. Drei Ziffern von 0 bis 9. Theoretisch könnte jemand alle 1.000 Kombinationen durchprobieren – dauert nur ein bisschen.
Jetzt stellt euch vor, das Schloss hätte 100 Ziffern. Plötzlich würde selbst der schnellste Computer der Welt Millionen Jahre brauchen, um alle Möglichkeiten durchzuprobieren. Genau so funktioniert moderne Verschlüsselung: Sie macht das Knacken praktisch unmöglich – zumindest für normale Computer.
Aber was, wenn morgen Computer auf den Plan treten, die nicht mehr Millionen Jahre brauchen, sondern nur noch Stunden? Genau vor diesem Szenario steht der Messenger Signal gerade – und hat im Oktober 2025 vorsorglich die Notbremse gezogen.

Das dreckige Geheimnis der Verschlüsselung
Hier kommt das große Aha-Erlebnis: Verschlüsselung ist nicht unknackbar. Sie ist nur verdammt aufwendig zu knacken. Der Unterschied ist gigantisch. Wenn ihr eurem besten Freund eine verschlüsselte Nachricht schickt, ist die nicht durch Magie geschützt. Sie ist geschützt, weil jemand, der sie lesen will, eine mathematische Aufgabe lösen müsste, die so komplex ist, dass alle Computer der Welt zusammen tausende Jahre bräuchten.
Das ist so, als würdet ihr ein Schloss verwenden, dessen Schlüssel theoretisch nachgemacht werden könnte – aber der Schlosser müsste dafür jeden einzelnen Sandkorn der Sahara durchnummerieren. Machbar? Ja. Praktikabel? Nein.
Und genau hier liegt das Problem: Was heute unmöglich erscheint, könnte morgen trivial sein. Die Rechenpower verdoppelt sich nicht einfach – sie kann in exponentiellen Sprüngen wachsen. Und mit Quantencomputern steht uns genau so ein Sprung bevor.
Die Zeitmaschine der Geheimdienste
Jetzt wird es richtig interessant: Stellt euch vor, ihr seid ein Geheimdienst im Jahr 2025. Ihr könnt verschlüsselte Nachrichten heute noch nicht knacken. Aber ihr wisst: In zehn Jahren werden Quantencomputer verfügbar sein, die es können. Was macht ihr?
Richtig: Ihr speichert einfach alle verschlüsselten Daten, die ihr heute abfangen könnt. Riesige Datenbanken voller Chats, E-Mails, Dokumente. Alles schön verschlüsselt und damit aktuell wertlos für euch. Aber in zehn Jahren holt ihr die Festplatten aus dem Archiv, werft den Quantencomputer an – und plötzlich könnt ihr alles lesen.
Diese Strategie nennt sich „Harvest now, decrypt later“ – sammle jetzt, entschlüssle später. Und sie ist der Grund, warum Signal nicht wartet, bis Quantencomputer tatsächlich einsatzbereit sind. Denn die wirkliche Gefahr besteht nicht in der Zukunft, sondern jetzt: Jede Nachricht, die ihr heute verschickt, könnte in zehn Jahren lesbar sein.

Wie Quantencomputer die Regeln brechen
Normale Computer rechnen mit Bits: 0 oder 1. Sie probieren Kombinationen nacheinander durch – schnell zwar, aber dennoch sequenziell. Ein Quantencomputer nutzt Qubits, die gleichzeitig 0 und 1 sein können. Das klingt nach Science-Fiction, ist aber Physik.
Vereinfacht gesagt: Während ein normaler Computer einen riesigen Irrgarten Weg für Weg abläuft, kann ein Quantencomputer alle Wege gleichzeitig gehen. Bei bestimmten mathematischen Problemen – und Verschlüsselung gehört dazu – ist das ein Game-Changer.
Die aktuelle Verschlüsselung basiert auf mathematischen Problemen, die für normale Computer praktisch unlösbar sind: Große Zahlen in ihre Primfaktoren zu zerlegen zum Beispiel. Für einen ausreichend starken Quantencomputer? Ein Nachmittag. Vielleicht sogar nur Minuten.
IBM plant, bis Ende des Jahrzehnts verlässliche Quantencomputer einsatzbereit zu haben. Bei Google und anderen Playern sieht es ähnlich aus. Die Uhr tickt.
Signals cleverer Schachzug: Triple-Ratchet
Signal hat sein Verschlüsselungsprotokoll jetzt um eine dritte Sicherheitsebene erweitert – das „Sparse Post-Quantum Ratchet“ (SPQR). Der Name klingt kompliziert, das Prinzip ist aber brilliant einfach.
Stellt euch vor, ihr habt nicht nur ein Schloss an der Tür, sondern drei. Und selbst wenn ein Einbrecher (oder Quantencomputer) das erste und zweite Schloss knacken kann – am dritten scheitert er. Genau das macht Signal: Eine zusätzliche Verschlüsselungsebene, die speziell gegen Quantenangriffe immun ist.
Das Besondere an der „Ratchet“-Methode: Die Schlüssel werden ständig erneuert. Wie bei einer mechanischen Ratsche, die nur in eine Richtung dreht, gibt es kein Zurück. Selbst wenn jemand einen aktuellen Schlüssel abfängt, kann er damit keine alten Nachrichten entschlüsseln. Und mit der neuen Quanten-Ebene funktioniert das auch umgekehrt: Selbst ein Quantencomputer kann aus alten Informationen keine neuen Schlüssel berechnen.
Signal nutzt dafür den ML-KEM 768-Algorithmus, den das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology (NIST) kürzlich standardisiert hat. Das ist wichtig: Es handelt sich nicht um experimentelle Krypto-Magie, sondern um wissenschaftlich geprüfte Verfahren.

Was das für euch bedeutet
Die gute Nachricht: Ihr müsst nichts tun. Das Update läuft im Hintergrund, der Messenger funktioniert weiter wie gewohnt. Keine neuen Buttons, keine komplizierten Einstellungen.
Die noch bessere Nachricht: Wenn in ein paar Jahren die Schlagzeilen „Quantencomputer durchbricht Verschlüsselung“ lauten, könnt ihr gelassen bleiben. Signal hat vorgesorgt – nicht als Reaktion auf eine Krise, sondern als Prävention.
Das ist eine grundsätzlich andere Herangehensweise als bei den meisten Tech-Unternehmen. Normalerweise wird erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Signal agiert proaktiv. Das Verschlüsselungsprotokoll gilt jetzt schon als Goldstandard – und soll es auch bleiben, wenn die Quantenära anbricht.
Die Lehre: Sicherheit ist ein Moving Target
Was uns diese Geschichte lehrt: IT-Sicherheit ist nie „fertig“. Was heute sicher ist, kann morgen angreifbar sein. Nicht weil die Verschlüsselung schlechter wird, sondern weil die Angreifer besser werden – oder zumindest ihre Werkzeuge.
Verschlüsselung durch Rechenpower zu knacken, ist kein theoretisches Szenario mehr. Es ist eine Frage der Zeit und Ressourcen. Und während normale Kriminelle diese Ressourcen nicht haben, haben Geheimdienste und staatliche Akteure sie definitiv – oder werden sie in absehbarer Zeit haben.
Signal zeigt, wie verantwortungsvolle Entwicklung aussieht: Nicht auf die Bedrohung warten, sondern ihr zuvorkommen. Während andere Messenger noch diskutieren, ob Quantencomputer überhaupt relevant sind, hat Signal bereits die Lösung ausgerollt.
Für uns Nutzer heißt das: Unsere Nachrichten von heute bleiben auch in zehn Jahren privat. Auch wenn irgendwo ein Quantencomputer alle gespeicherten Signal-Chats durchrechnen will – er wird scheitern. Nicht weil es unmöglich ist, sondern weil Signal die Regeln geändert hat, bevor das Spiel begann.
Das ist nicht nur smart. Das ist vorbildlich.