Unschuldig lächelt Annie Leith in die Kamera und gesteht im Kreise von 20 Freunden: „Ich bin eins von den Kids, die angeklagt wurden, weil sie sich im Internet gratis mit Musik versorgt haben.“ Danach hält die 14-Jährige eine Flasche Pepsi-Cola in der Hand, um verschmitzt nachzuschieben: „Aber wir werden auch weiterhin Musik aus dem Internet laden – kostenlos und völlig legal.“
Ein Reklamespot, den Pepsi-Cola und Apple gemeinsam Anfang Februar während des Superbowl ausgestrahlt haben, zur besten und teuersten Werbezeit im US-Fernsehen. Hintergrund: Bis 1. April befindet sich in jeder Verschlussklappe von Pepsi-Cola ein Zahlencode, der zum kostenlosen, aber legalen Herunterladen eines Songs auf dem Online-Musikshop Apple iTunes berechtigt.
Pepsi-Cola verschenkt 100 Millionen Songs.
Die 20 Jugendlichen im Spot sind alle tatsächlich vom amerikanischen Musikverband RIAA (Recording Industry Association of America) wegen Raubkopiererei im Netz verklagt worden, teilweise auf mehrere hunderttausend Dollar Schadenersatz. Annie Leith hat in drei Jahren rund 950 Songs aus dem Netz geladen. Illegal. „Wir bekehren die Leute, Musik online zu kaufen anstatt sie zu online zu klauen“, erklärt Pepsis Marketingchef Dave Burwick seinen Spot.
Auch wenn die TV-Werbung eine klare Spitze auf die Klagewelle des Musikverbands enthält, der selbst Minderjährige gnadenlos von den Kadi zerrt: Selbst im Verband zeigt man sich begeistert über den PR-Gag von Pepsi und Apple. „Der Werbespot macht doch klar, wie sich alles verändert hat“, erklärt Mitch Bainwohl, Chef der RIAA.
Tatsächlich: Seit der Klagewelle geht die Bereitschaft, sich in Tauschbörsen illegal mit Musik zu versorgen, weltweit spürbar zurück. Im Gegenzug boomen seit einem Jahr legale Musikshops. Apple-Chef Steve Jobs vermeldet unentwegt verblüffende Umsätze. Sein Onlineshop „iTunes Music Store“ hat bereits über 30 Millionen Songs im Netz verkauft, ohne den Pepsi-Deal. Jeden Monat gehen rund drei Millionen Musiktitel über die virtuelle Ladentheke.
Dabei war die Branche anfangs äußerst skeptisch. Als Steve Jobs Ende April 2003 mit seinem Music Store an den Start gegangen ist, wollte niemand so recht an einen Erfolg glauben. Schließlich sollte jeder übers Netz vertriebene Song 0,99 Dollar kosten. Aus Sicht der an Raubkopien gewöhnten Internetgemeinde also 0,99 Dollar zu viel.
Doch Apples Musikshop ist überraschend schnell der Durchbruch gelungen. Apple hat nicht dieselben Fehler gemacht wie manche Online-Musikshops davor. Anders als bei der wegen Erfolglosigkeit mittlerweile eingestellten Plattform PressPlay konnten iTunes-Kunden von Anfang an mit der gekauften Musik nahezu alles anstellen. Die Musik lässt sich nicht nur beliebig oft auf dem eigenen Rechner abspielen, sondern zusätzlich auf bis zu zwei weiteren Apple- oder Windows-PC.
Außerdem können iTunes-Kunden die Musik mit wenigen Mausklicks auf tragbare MP3-Player wie den iPod übertragen oder beliebig oft auf CD brennen. Ein riesiger Fortschritt, denn vor iTunes wollten die Musik-Shops ihren Kunden vorschreiben, was sie mit der Musik anstellen dürfen und was nicht. Oft ließen sich die Musikstücke überhaupt nicht oder nur einmal brennen. Bei Apple gab es solche Einschränkungen zum ersten Mal nicht.
Seit November 2003 ist auch Napster 2.0 am Netz, der offizielle und legale Nachfolger der einstigen Tauschbörse Napster. Heute ein aufpoliertes, legales Portal für Musikfans, die sich im Netz mit Musik versorgen wollen – gegen entsprechende Bezahlung. Napster hat das bewährte Konzept von iTunes übernommen: Jeder Song kostet 0,99 Dollar.
Auch Napster meldet Erfolge. Der Nachfolger der einstigen Tauschbörse wird vom Softwarehersteller Roxio betrieben, der vor allem mit Brenn-Software wie „Easy CD Creator“ sein Geld verdient. Laut Roxio hat der Onlinedienst in den ersten drei Monaten seines Betriebs über fünf Millionen Musikstücke verkauft. Mehr als 1,5 Millionen Menschen nutzen den neuen Service bereits. Für das erste Betriebsjahr rechnet Roxio mit einem Umsatz von 20 Millionen US-Dollar. Trotzdem schreibt das Unternehmen noch rote Zahlen.
„Besonders wichtig für einen Online-Musikshop ist eine möglichst große Auswahl“, weiß Stiftung Warentest. „Denn niemand möchte zahllose Onlineshops besuchen, nur um eine ganz bestimmte Platte aufzuspüren und auf den eigenen Rechner zu laden.“ Im Idealfall ist alles, was in der Musikwelt Rang und Namen hat, unter einer einheitlichen Adresse zu bekommen. Wer bei iTunes oder Napster 2.0 herum stöbert, kann mittlerweile aus über 500.000 Musiktiteln auswählen.
Ein Umfang, der selbst einen hervorragend sortierten CD-Laden locker übersteigt. Fünf der großen Plattenfirmen sowie 205 „Independents“ genannte kleinere Labels machen bei Apple iTunes mit. Tendenz: Steigend. Das Angebot ist breit gefächert: Neben aktuellen Hits und Bestsellern werden auch Soundtracks, Hörbücher, Country, Jazz und viele andere Stilrichtungen geboten.
iTunes Music Store und Napster 2.0 sind Beispiele, wie gut gemachte Musik-Shops im Internet aussehen können – und müssen. Optisch aufwändig gestaltet, einfach zu bedienen und vor allem mit unzähligen Möglichkeiten zur Recherche. Wer beispielsweise einen konkreten Titel sucht, kann den eingebauten Suchdienst mit Stichwörtern, Namen oder Genre füttern und bekommt schnell reichlich Antworten. Noch einfacher ist das Stöbern in aktuellen Angeboten oder Charts.
Wer einen Titel anwählt, bekommt sofort das entsprechende Album sowie einige Hintergrundinformationen präsentiert, etwa Lauflänge oder Jahr der Veröffentlichung. Natürlich kennen die Online-Shops irgendwann den Geschmack ihrer Kundschaft und bieten gezielt Musik an, die den Geschmack entspricht. Napster-Benutzer können sich sogar zeigen lassen, in welche Alben andere Kunden gerade probeweise hinein hören – und sich einfach mit einklinken.
Napster 2.0 setzt erkennbar auf Zusatznutzen. So können sich die Mitglieder miteinander unterhalten und austauschen. Ähnlich wie bei Amazon haben Kunden auch die Möglichkeit, CDs zu bewerten. Ein Online-Magazin informiert über Musik, Künstler und Lifestyle. Das Angebot von Napster ist gezielt für ein eher jugendliches Klientel konzipiert und gestaltet.
Noch können deutsche Benutzer die gut gemachten Angebote von Napster und Apple nur eingeschränkt nutzen. Sie können zwar im Angebot herumstöbern, recherchieren und Musik probehören, aber sie können nichts einkaufen – aus rechtlichen Gründen. Technisch wäre es kein Problem, die Musik ins alte Europa zu liefern – aber aus lizenzrechtlichen Gründen ist es nicht erlaubt.
Apple und Napster wollen noch in diesem Jahr auch in Deutschland starten. Noch ist nicht abzusehen, wann genau. Nur so viel ist sicher: Neben der Benutzeroberfläche müssen auch die Inhalte auf deutschen Geschmack getrimmt werden. Denn „Superstars“ wie Küblböck oder Alexander beispielsweise sind für iTunes und Napster völlig Unbekannte.
Doch es gibt bereits deutschsprachige Musik-Plattformen. Unter https://www.popfile.de bietet beispielsweise der Musikriese Universal („No Angeles“, „Bon Jovi“, „50 Cent“) eine Auswahl seiner Musik feil. Allerdings ist das Angebot relativ beschränkt, da nur von einem Konzern. Außerdem ist die Bedienung recht umständlich.
Auch der Provider T-Online hat eine Musik-Tankstelle an den Start gebracht, wenn auch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Unter der Adresse https://www.musicload.de bietet sich Besuchern ein mit rund 100.000 Titeln vergleichsweise umfangreiches, wenn auch schmucklos gestaltetes Angebot. Mittlerweile wirbt Schauspielerin Cosma Shiva Hagen für das Portal, das mit den Labeln BMG, EMI, Kontor, Sony Music, edel music sowie Warner Music kooperiert.
Großer Hoffnungsträger hierzulande ist das auf der letzten PopKomm angekündigte Musik-Portal Phonoline, das sich noch am ehesten mit iTunes Music Store oder Napster 2.0 messen lassen könnte. Laut Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände, soll Phonoline das „erste gemeinsame Angebot der Musikwirtschaft werden, das umfassend Musik von Majors und Independents auf einer technischen Plattform bietet“. Doch der Starttermin wurde immer wieder verschoben. Erst hieß es Herbst 2003, dann Weihnachten – nun erwartet die Branche den Startschuss zur Cebit. „Wir wollen definitiv im ersten Quartal starten“, erklärt PhonoNet-Projektleiter Bent Stroehmann.
Eins ist allen Musik-Shops gemein: Sie liefern die gekaufte Musik nicht etwa im populären MP3-Format aus, was den meisten Musikfreunden am liebsten wäre, sondern meist im WMA-Format (Windows Media Audio). Apple benutzt das AAC-Format, eine Spezialvariante des weit verbreiteten MPEG4. In der Regel wird die Musik mit 128 KBit/Sekunde angeboten, was nahezu CD-Qualität entspricht.
Ob WMA oder AAC: Die ausgelieferte Musik wird stets mit Verwendungsbeschränkungen zur Verfügung gestellt. So lassen sich die Musikstücke meist nur auf zwei bis drei weiteren Rechnern kopieren und abspielen. Danach ist Schluss – dann erscheint eine Fehlermeldung. Klar, das soll eine Weiterverbreitung der digitalen Originale verhindern.
Gleichwohl besteht die Möglichkeit, die gekaufte Musik ins MP3-Format umzuwandeln. Etwa, um die Musik auf einem MP3-Player hören zu können. Allerdings wird die Musik dann nicht auf Festplatte im MP3-Format gespeichert, dann wäre sie frei weiter verwendbar, sondern konvertiert und gleich auf den MP3-Player übertragen (etwa bei iTunes). Die Software des jeweiligen Musikdienstes sorgt dafür, dass alles unter Einhaltung der jeweiligen „Spielregeln“ erfolgt.
Bei musicload.de gekaufte Musiktitel lassen sich drei Mal brennen und drei Mal auf einen MP3-Player überspielen. Danach ist Schluss. Bei anderen Anbietern wie iTunes gibt es in dieser Hinsicht keine Beschränkungen. Die Musik lässt sich beliebig oft brennen. Bei iTunes und Napster sogar direkt aus der jeweiligen Software heraus. Einfach nach dem Herunterladen der Musik die gewünschte Reihenfolge zusammen stellen – und die CD oder DVD brennen.
Die Musikbranche experimentiert auch in Sachen Preismodellen. So bietet Napster ein Abomodell an. Für 9,90 Dollar im Monat können Kunden so viel Musik aus dem Netz laden wie sie wollen. Allerdings lässt sich diese Musik nur auf dem eigenen PC sowie auf drei weiteren Rechnern abspielen. Das Überspielen auf MP3-Player oder das Brennen auf CD ist bei diesen Titeln nicht möglich. Wird das Abo gekündigt, verfallen auch die Abspielrechte. Die Musik lässt sich dann nicht mehr anhören.
Während amerikanische Musik-Shops ausschließlich Kreditkarten akzeptieren, bieten deutsche Shops meist mehrere verschiedene Bezahlverfahren an. Benutzer von popfile.de beispielsweise können wahlweise per Kreditkarte, Firstgate oder mit einer Prepaid-Karte der Telekom bezahlen (Micromoney). Auch das Aufladen des Guthabenkontos über eine 0900-Nummer ist möglich. Kunden von musicload.de können wahlweise über Telefonrechnung oder mit Kreditkarte bezahlen.
Bei Annie Leith und ihren Altersgenossen bleibt das Portemonnaie in der Hosentasche. Zumindest bis zum 1. April tippen sie die Zahlencodes ihrer Pepsi-Flaschen in den Computer ein – und kommen so gratis an Musik. Legal. JÖRG SCHIEB
((Kasten))
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Ganz legal laden
https://www.itunes.com
Mit seinem Angebot iTunes ist Apple ein Überraschungserfolg gelungen: Angangs konnten sich hier nur Apple-Benutzer legal mit Musik versorgen. Mittlerweile gibt es auch Zugangs-Software für Windows-Rechner. Ein deutschsprachiges Portal ist geplant. Über 500.000 Songs.
Seit November ist Napster 2.0 am Start: Wer die Spezial-Software herunter lädt, kann in einem komfortablen Portal herum stöbern, Musikproben lauschen und für in der Regel 0,99 Dollar pro Song Musik legal auf seinen Rechner laden. Mehr als 500.000 Titel stehen zur Auswahl. Schon bald will Napster nach Europa kommen.
Deutschsprachiges Portal der Musikfirma Universal: Das Angebot richtet sich an ein sehr junges Publikum, ist relativ beschränkt und die Bedienung verhältnismäßig kompliziert. Vielfältige Bezahlmöglichkeiten.
Auch T-Online will groß in das Verkaufsgeschäft mit Musik einsteigen. Im noch etwas schmuckosen Portal https://www.musicload.de stehen tausende von Songs zum kostenpflichtigen Download bereit. Bezahlt wird per Kreditkarte (Visa oder Mastercard). T-Online-Kunden können auch per Telefonrechnung zahlen.
Nicht jeder Musik-Download muss Geld kosten. Manchmal bieten Künstler oder Labels Musik zum Nulltarif an, etwa zu PR-Zwecken. Die Betreiber von Tonspion.de sammeln solche Links, kommentieren sie und bieten praktische Übersichten an. Sehr empfehlenswert.
Kasten: Brennen im Laden
In der Lübecker Altstadt befindet sich Deutschlands modernster Musikladen. Im „Pressezentrum“ funktioniert das Einkaufen anders als in anderen CD-Geschäften: Seit Januar 2003 bekommt der Kunde am Eingang einen Organizer samt Kopfhörer in die Hand gedrückt. Entdeckt er beim Stöbern eine interessante CD, fährt er mit einem Lesestift über den Barcode – schon sind rund 30 Sekunden lange Ausschnitte des ausgewählten Musikstücks zu hören. Ein Server schickt die Musik per Funk an den Organizer.
Bei Gefallen reicht ein kurzes Tippen auf dem Touchscreen, schon merkt der Organizer den Titel zum Kauf vor. Niemand muss komplette Alben kaufen, der Kunde kann sich auch für einzelne Titel entscheiden. Am Ende legt der Musikfan die Reihenfolge der Titel fest – und eine Maschine beginnt mit dem Brennprozess. Die Musik wird in bester Audioqualität (256 KBit/Sekunde) gebrannt. Preis: 0,99 Euro pro Song. Für Rohling, Brennvorgang, Cover und CD-Hülle berechnet das „Pressezentrum“ weitere zwei Euro.
Ganz ähnlich funktioniert es in der CD-Abteilung der Kardstadt-Filiale in Hannover. Auch hier können die Kunden seit Anfang November selbst CDs zusammen stellen.