120 Millionen Euro Strafe: Warum die EU gegen Elon Musks X vorgeht – und was das für uns bedeutet

von | 09.12.2025 | Internet

Die EU-Kommission hat erstmals eine Strafe auf Grundlage des Digital Services Act verhängt – und ausgerechnet Elon Musks Plattform X trifft es. 120 Millionen Euro soll das Unternehmen zahlen. Musks Reaktion? Er fordert die Abschaffung der EU. Was steckt dahinter – und warum betrifft das jeden von uns?

Worum geht es eigentlich?

Vergangenen Freitag hat die EU-Kommission in Brüssel Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal wurde ein Bußgeld nach dem Digital Services Act (DSA) verhängt. Das Gesetz über digitale Dienste ist seit 2024 in Kraft und soll große Online-Plattformen zu mehr Transparenz und Verantwortung zwingen.

Die 120 Millionen Euro setzen sich aus drei Verstößen zusammen: 45 Millionen Euro wegen der irreführenden Verifizierungshäkchen, 40 Millionen Euro für den verweigerten Datenzugang für Forscher und 35 Millionen Euro wegen mangelnder Transparenz bei Werbung.

Besorgter Mann erhält EU-Bescheid über Geldstrafe.

Das Problem mit dem blauen Haken

Erinnerst du dich noch an die Zeit, als Twitter ein blauer Vogel war? Damals bedeutete ein weißes Häkchen auf blauem Grund etwas: Der Account wurde vom Unternehmen geprüft und gehört tatsächlich der Person oder Organisation, die er vorgibt zu sein. Prominente, Politiker, Unternehmen – sie alle mussten sich verifizieren lassen.

Dann kam Elon Musk. Nach seiner Übernahme im Herbst 2022 hat er das System komplett umgekrempelt. Seitdem kann sich jeder dieses Häkchen kaufen – für etwa 8 Euro im Monat. Das Problem: Die Symbole sehen identisch aus wie früher. Nutzer glauben also weiterhin, dass ein Account mit Häkchen echt und geprüft ist. Ist er aber nicht zwingend.

Die Folgen waren vorhersehbar: Fake-Accounts von Unternehmen und Prominenten wirkten plötzlich authentisch. Betrüger nutzten das aus. Die EU-Kommission sieht darin eine Täuschung der Nutzer – und hat recht damit.

Warum auch Forscher betroffen sind

Ein Aspekt geht in der Aufregung fast unter: X blockiert den gesetzlich vorgeschriebenen Zugang für Wissenschaftler zu relevanten Plattformdaten. Das klingt technisch, hat aber enorme Bedeutung.

Forscher brauchen diese Daten, um zu verstehen, wie Desinformation sich verbreitet, wie Algorithmen unsere Meinungsbildung beeinflussen oder wie sich Hassrede auf der Plattform entwickelt. Ohne diesen Zugang fliegen wir blind. Wir können nicht nachvollziehen, was auf einer der wichtigsten Informationsplattformen der Welt passiert.

Auch bei der Werbetransparenz hakt es: Der DSA verpflichtet Plattformen, ein durchsuchbares Archiv geschalteter Anzeigen zu führen. Damit sollen Behörden und Zivilgesellschaft Betrugsversuche, illegale Werbung oder Desinformationskampagnen aufdecken können. X kommt dieser Pflicht nicht ausreichend nach.

Musks Reaktion: Vom Wutanfall zur Eskalation

Elon Musks erste Reaktion auf die Strafe war ein knappes „Bullshit“ auf seiner eigenen Plattform. Dann forderte er die Abschaffung der EU und verglich sie mit einem „Vierten Reich“ – eine Anspielung auf das NS-Regime, die nicht nur geschmacklos ist, sondern auch zeigt, wie weit die Debatte bereits eskaliert ist.

Twitter heißt nicht mehr Twitter, sondern X
Twitter heißt nicht mehr Twitter, sondern X

Noch bemerkenswerter: X hat daraufhin das Werbekonto der EU-Kommission gesperrt. Die offizielle Begründung klingt fadenscheinig – angeblich habe die Kommission gegen Regeln verstoßen. In Wahrheit kann die Behörde nun keine Beiträge mehr bewerben, um europäische Bürger über ihre Arbeit zu informieren.

Auch aus Washington kam Rückendeckung für Musk: US-Vizepräsident JD Vance sprach von einem „Angriff auf amerikanische Unternehmen“, Außenminister Marco Rubio warf der EU „Zensur“ vor. Dabei wurde überhaupt nichts zensiert – es geht um Transparenzregeln.

Ein Politikum mit Sprengkraft

Hier zeigt sich, was wirklich passiert: Der Konflikt zwischen EU und X ist längst kein normales Regulierungsverfahren mehr. Er ist zu einem geopolitischen Machtkampf geworden. Auf der einen Seite die EU, die mit dem DSA verbindliche Standards für den digitalen Raum setzen will. Auf der anderen Seite Tech-Milliardäre mit engen Verbindungen zur US-Regierung, die diese Regeln als Angriff auf ihre Geschäftsmodelle sehen.

Interessant dabei: Während Musk über EU-„Zensur“ wettert, ist seine Plattform X in Russland komplett gesperrt. Das scheint ihn weniger zu stören. Applaus für seine EU-Kritik gab es jedenfalls vom russischen Ex-Präsidenten Medwedew.

Wie geht es weiter?

Die 120 Millionen Euro sind für Musk Kleingeld – spekuliert wurde vorab über bis zu einer Milliarde Dollar. Aber die EU hat weitere Pfeile im Köcher: Bis Februar muss X die blauen Haken umgestalten, bis März die Werbetransparenz verbessern und Forschern Datenzugang gewähren.

Passiert das nicht, drohen Zwangsgelder. Im schlimmsten Fall könnte die EU die Plattform sogar sperren – auch wenn das angesichts möglicher US-Vergeltungsmaßnahmen unwahrscheinlich ist.

Weitere Verfahren laufen bereits, darunter eines zur politischen Einflussnahme über den Empfehlungsalgorithmus. Das könnte noch weitaus mehr Sprengkraft haben als der aktuelle Streit.

Was bedeutet das für dich?

Als Nutzer von X (oder jeder anderen großen Plattform) solltest du dir bewusst sein: Ein blaues Häkchen bedeutet heute nicht mehr das, was es früher bedeutete. Prüfe Quellen kritisch, vor allem bei vermeintlich verifizierten Accounts.

Die größere Frage ist jedoch: Wollen wir in einer digitalen Welt leben, in der globale Plattformen sich nicht an demokratisch beschlossene Regeln halten müssen? Der DSA ist nicht perfekt, aber er ist ein Versuch, dem digitalen Wilden Westen Grenzen zu setzen. Ob das gelingt, wird auch davon abhängen, ob die EU in diesem Konflikt standhaft bleibt.

Übrigens: Während X mit Händen und Füßen gegen die Strafe kämpft, hat TikTok zeitgleich ein ähnliches Verfahren beigelegt – durch verbindliche Zusagen zur Werbetransparenz. Es geht also, wenn man will.