Was vor einem Vierteljahrhundert in einem kleinen Bielefelder Keller begann, ist heute die bekannteste Anti-Preis-Verleihung Deutschlands. Die Big Brother Awards feiern Jubiläum – und haben mehr zu tun denn je.
Stellt euch vor, ihr bekommt einen Preis. Goldene Statue, rotes Teppich, Blitzlichtgewitter. Klingt toll, oder? Jetzt stellt euch vor, dieser Preis ist dafür, dass ihr beim Datenschutz so richtig versagt habt. Willkommen bei den Big Brother Awards – den Anti-Oscars der digitalen Welt.
Von der Kellerbude zur Gala
Was 2000 noch eine kleine, fast schon nerdig-aktivistische Veranstaltung war, hat sich inzwischen zu einer echten Gala mit „geschliffener Rede und Musik“ entwickelt. Der Verein Digitalcourage (früher FoeBuD – ja, die mit dem lustigen Namen) vergibt diese Negativpreise mittlerweile zum 25. Mal. Und ehrlich gesagt: Die Nominierungsliste wird nicht kürzer, sondern länger.
Die Idee stammt ursprünglich aus Großbritannien, wo Privacy International 1998 den ersten Award vergab. Deutschland zog zwei Jahre später nach. Und während in anderen Ländern die Vergabe längst eingestellt wurde, läuft die Bielefelder Show weiter und weiter – wie eine Datenschutz-Version von „Dinner for One“. Nur ohne den Charme und mit deutlich mehr Überwachungskameras.

Die Gewinner 2025: Ein Who’s Who der Datenkraken
Lasst uns mal schauen, wer dieses Jahr die fragwürdige Ehre hat, einen Big Brother Award mit nach Hause zu nehmen.
Alexander Dobrindt darf sich freuen – oder auch nicht. Der Bundesinnenminister ist bereits der 14. (!) Innenminister, der diesen Preis erhält. Sein „Sicherheitspaket“ mit biometrischer Gesichtserkennung im Internet und der möglichen Einführung von Palantir-Software bundesweit hat ihm diese Auszeichnung eingebracht. Fun Fact: Seine Vorgängerin Nancy Faeser hatte 2019 noch begeistert applaudiert, als der hessische Innenminister für genau so eine Software ausgezeichnet wurde. Dann wurde sie selbst Innenministerin und – Überraschung! – wollte dasselbe machen. Manchmal schreibt das Leben die besten Satiren.
Amazon räumt gleich doppelt ab – allerdings nicht im positiven Sinne. Diesmal geht der Preis aber nicht an den Konzern selbst, sondern an deutsche Gerichte, die zugunsten von Amazon urteilten. Die dauerhafte Leistungsüberwachung von Lagerarbeitern? Kein Problem, das sei ja „objektives Feedback“ und im „Eigeninteresse der Beschäftigten“. Klar. So wie die tägliche Zahnarztuntersuchung auch in unserem Eigeninteresse wäre.

Google und die KI, die sich nicht abschütteln lässt
Google sammelt seinen dritten Big Brother Award ein – diesmal für Gemini, den KI-Chatbot, der sich via Update ungefragt auf Android-Handys einschleicht wie ein digitaler Hausbesetzer. Besonders pikant: Google selbst warnt in den Datenschutzhinweisen davor, vertrauliche Informationen einzugeben, weil „Prüferinnen und Prüfer“ mitlesen könnten. Mit „Prüferinnen und Prüfer“ sind übrigens Tausende schlecht bezahlte Leute gemeint, die eure Chat-Fragmente lesen und kategorisieren. Romantisch, oder?
Neue Kategorie: „Jung und überwacht“
Zum Jubiläum gibt es eine neue Kategorie, präsentiert von Jugendlichen der Gruppe Teckids. Sie zeigen in Sketchen, welche Datenkraken ihre Lebenswelt bevölkern. iPads in Schulen und WhatsApp bekommen den Award, weil beide auf ihre Weise Menschen ausgrenzen, die sie nicht nutzen. Ein wichtiger Punkt: Wenn die Schule sagt „Wir machen alles über iPad“ oder die Klassengruppe nur auf WhatsApp läuft, haben Nicht-Nutzer ein Problem. Digitale Teilhabe funktioniert nicht, wenn sie Zwang bedeutet.
„Bürokratieabbau“: Das neue Unwort des Jahres?
Besonders kreativ ist die neue Kategorie „Neusprech“. Der Gewinnerbegriff: „Bürokratieabbau“. Was nach weniger Papierkram klingt, ist oft nur ein Deckmäntelchen für Deregulierung im eigenen Interesse. Datenschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz – alles „Bürokratie“, die man doch bitte abbauen möge. Die Laudatorin Rena Tangens wurde dabei richtig deutlich: „Wir müssen verdammt noch einmal Ernst machen mit der digitalen Souveränität! Bundesbehörden und alle wichtigen Institutionen, Schulen, Universitäten, Stadtwerke, Verbände und Firmen müssen schnellstmöglich weg von Microsoft, Google, Amazon.“
Starke Worte, aber verständlich, wenn man sieht, wie die USA im Namen des „Bürokratieabbaus“ gerade ganze Behörden auf Trump-Kurs bringen.
25 Jahre und kein Happy End in Sicht
Die traurige Wahrheit nach 25 Jahren: Es wird nicht besser. Die Überwachung wird ausgefeilter, die Datensammelei umfassender, die Ausreden kreativer. Nur ein einziges Mal gab es einen Positivpreis – für Edward Snowden 2014, den Whistleblower, der die NSA-Überwachung aufdeckte.
Was vor 25 Jahren mit einem Innensenator begann, der IMSI-Catcher einführen wollte (also Geräte, die sich als Mobilfunkmast ausgeben und so Handys überwachen können), ist heute eine endlose Liste von Innenministern, Tech-Giganten und Gerichten, die beim Datenschutz wegschauen.
Warum diese Preise wichtig sind
Man könnte jetzt denken: „Na und? Was bringt so ein Negativ-Preis?“ Ziemlich viel, ehrlich gesagt. Die Big Brother Awards schaffen Öffentlichkeit. Sie zeigen, dass da Leute genau hinschauen. Sie erinnern daran, dass Datenschutz kein Luxusproblem ist, sondern ein Grundrecht.
In einer Welt, in der „Ich habe nichts zu verbergen“ immer noch als Argument durchgeht, brauchen wir diese jährliche Erinnerung daran, dass unsere Daten nicht der Rohstoff der digitalen Wirtschaft sein sollten – sondern unser Eigentum.
Also: Danke, Digitalcourage, für 25 Jahre hartnäckiges Nerven. Macht weiter so. Auch wenn wir alle hoffen, dass ihr irgendwann arbeitslos werdet, weil es nichts mehr zu kritisieren gibt. Aber davon sind wir leider noch weit entfernt.
Mehr Infos zu den Big Brother Awards findet ihr unter bigbrotherawards.de – die Preisverleihung gibt’s sogar als Livestream. Manchmal ist Schadenfreude doch die schönste Freude.