Es ist ein bisschen wie damals bei QVC, nur eben auf dem Smartphone: Ein Verkäufer hält Pokémon-Karten in die Kamera, dreht sie hin und her, erklärt aufgeregt die Seltenheit – und du kannst live mitbieten. Willkommen in der Welt des Live-Shoppings, das gerade mit voller Wucht nach Deutschland schwappt.
Ende November hat eBay seine Live-Shopping-Funktion hierzulande gestartet. TikTok ist seit März 2025 mit seinem Shop dabei. Amazon experimentiert ebenfalls. Was in Asien längst ein Milliarden-Geschäft ist, soll jetzt auch deutsche Geldbeutel öffnen. Zeit für einen genaueren Blick.
Was ist Live-Shopping überhaupt?
Das Prinzip ist simpel: Verkäufer streamen live, präsentieren ihre Produkte und beantworten Fragen im Chat. Du schaust zu und kannst direkt kaufen – entweder per Auktion oder Sofortkauf. Alles passiert in Echtzeit, ohne die App zu verlassen.
Bei eBay Live dreht sich aktuell alles um Sammlerstücke und Mode. Designerhandtaschen von Gucci und Louis Vuitton, limitierte Sneaker, Vintage-Klamotten. Die ersten Events fanden auf der Comic Con in Stuttgart statt, weitere folgen laufend. TikTok geht breiter ran: Von Beauty-Produkten über Mode bis hin zu Gadgets ist alles dabei. Creator präsentieren Produkte während ihrer Livestreams und verlinken sie direkt zum Kauf.
Der Unterschied zum klassischen Online-Shopping: Es ist persönlicher, emotionaler, schneller. Du siehst das Produkt aus allen Blickwinkeln, kannst nachfragen, bekommst sofort Antworten. Das schafft Vertrauen – oder zumindest das Gefühl davon.
Der Blick nach Asien: So groß ist der Markt
Um zu verstehen, wohin die Reise geht, lohnt ein Blick nach China und Südostasien. Dort wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von 450 Milliarden Euro über Live-Shopping verkauft. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten E-Commerce-Umsatzes. Eine Beauty-Marke machte mit einer einzigen 12-Stunden-Session fast eine Million Dollar Umsatz.
In den USA wächst eBay Live rasant – das Geschäft hat sich innerhalb eines Jahres verfünffacht. TikTok Shop erreichte dort 2024 ein Verkaufsvolumen von 9 Milliarden Dollar. In Großbritannien stieg der Umsatz von 600 Millionen auf 1,5 Milliarden Dollar.
Deutschland hinkt noch hinterher: Weniger als ein Prozent des Online-Handels läuft über Live-Formate. Aber genau das sehen die Plattformen als Chance. Der Markt ist noch nicht gesättigt, die Konkurrenz überschaubar.
Warum das Format so gut funktioniert
Live-Shopping trifft einen Nerv. Es verbindet drei Dinge, die einzeln schon funktionieren: Entertainment, Community und Shopping. Du schaust nicht nur zu, du bist dabei. Du chattest mit anderen Zuschauern, fieberst bei Auktionen mit, fühlst dich als Teil von etwas.
Für Verkäufer ist das Gold wert. Sie können eine echte Fangemeinde aufbauen, regelmäßige Events etablieren, persönliche Bindungen schaffen. eBay-Chef Jamie Iannone spricht vom „Tatort-Effekt“: Jeden Freitag Pokémon-Karten, jeden Samstag Vintage-Mode. Die Leute fiebern dem Termin entgegen.
Besonders kleinere Händler und Start-ups profitieren. Sie brauchen keine teuren Werbekampagnen, kein perfektes Studio. Ein Smartphone reicht. Der Algorithmus belohnt gute Inhalte mit Reichweite – auch ohne große Followerzahl.
Die Schattenseiten: Kaufdruck und Manipulation
Aber genau hier liegt auch das Problem. Live-Shopping ist darauf optimiert, Impulskäufe auszulösen. Die Mechanismen sind nicht neu, aber sie wirken im Livestream besonders stark.
Künstliche Verknappung: „Nur noch zwei Stück!“ Countdowns: „Angebot endet in 30 Sekunden!“ Spielerische Elemente: Virtuelle Glücksräder, Überraschungsrabatte. All das erzeugt Druck, schnell zu handeln. Keine Zeit für Preisvergleiche, keine Chance zum Nachdenken.
Verbraucherschützer warnen schon länger vor diesen manipulativen Designtricks. Ramona Pop vom Verbraucherzentrale Bundesverband bringt es auf den Punkt: Menschen werden unter Stress gesetzt, haben Angst etwas zu verpassen und geben mehr aus als geplant.
Bei TikTok kommt ein weiteres Problem hinzu: der Datenschutz. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Thomas Fuchs sieht die Kombination aus TikToks Algorithmus und Shopping-Daten kritisch. Die Plattform weiß ohnehin sehr viel über ihre Nutzer – mit den Kaufdaten wird das Profil noch präziser.
Und die Altersbeschränkung ab 18 Jahren? Laut Fuchs leicht zu umgehen. Viele Jugendliche haben längst Kreditkarten auf ihren Juniorkonten. Eine echte Altersverifikation sieht anders aus.

Was du als Käufer beachten solltest
Live-Shopping kann Spaß machen und echte Schnäppchen bringen. Aber ein paar Regeln helfen, nicht in die Falle zu tappen.
Setz dir vorher ein Budget. Im Eifer des Gefechts ist das Limit schnell vergessen, aber genau deshalb solltest du es vorher festlegen. Lass dich nicht von Countdowns hetzen. Wenn ein Angebot nur 30 Sekunden gilt, ist das ein Warnsignal, kein Kaufgrund. Mach Preisvergleiche, bevor du einschaltest. Wenn du weißt, was ein Produkt normalerweise kostet, erkennst du echte Schnäppchen.
Prüfe den Verkäufer. Bei eBay helfen Bewertungen, bei TikTok ist das schwieriger. Im Zweifel lieber skeptisch sein. Und: Schlaf eine Nacht drüber. Wenn du morgen immer noch willst, kannst du beim nächsten Stream wieder einschalten.
Die neue Shopping-Welt
Live-Shopping wird nicht wieder verschwinden. Die Zahlen aus Asien und den USA zeigen, dass das Format funktioniert. In Deutschland stehen wir noch am Anfang, aber eBay, TikTok und andere werden alles daran setzen, den Markt zu erschließen.
Für dich bedeutet das: Eine neue Möglichkeit, einzukaufen. Unterhaltsamer, persönlicher, direkter. Aber auch mit neuen Risiken. Wer die Mechanismen kennt, kann sie für sich nutzen – ohne sich verführen zu lassen.
