Wer sich in den letzten Monaten mit künstlicher Intelligenz beschäftigt hat, ist bestimmt über diese Schlagzeile gestolpert: „ChatGPT verbraucht eine halbe Flasche Wasser pro Anfrage!“
Klingt dramatisch, oder? Und genau deshalb wird diese Zahl ständig zitiert. Doch wie so oft bei vermeintlich einfachen Wahrheiten lohnt sich ein genauerer Blick – denn die Geschichte ist komplizierter als die Überschrift vermuten lässt.
Das Problem mit den einfachen Zahlen
Stellt euch vor, jemand behauptet: „Ein Auto verbraucht 50.000 Liter Wasser.“ Stimmt das? Ja und nein. Kommt darauf an, was man alles einrechnet: Die Produktion? Die Autowäsche? Das Wasser, das für die Herstellung des Benzins verwendet wurde? Ihr merkt: Eine einzelne Zahl kann ziemlich bedeutungslos sein, wenn der Kontext fehlt.
Genau dieses Problem haben wir beim Wasserverbrauch von KI-Systemen. Die oft zitierte „halbe Flasche pro Prompt“ stammt aus einer Studie, die versucht hat, den gesamten Wasserverbrauch von Rechenzentren auf einzelne Anfragen herunterzubrechen. Klingt nach guter Wissenschaft – ist aber methodisch problematisch.
Was verbraucht hier eigentlich Wasser?
Rechenzentren brauchen Kühlung. Viel Kühlung. Die Server produzieren enorme Wärmemengen, und diese Wärme muss irgendwohin. Manche Rechenzentren nutzen dafür Verdunstungskühlung mit Wasser – ähnlich wie Schwitzen bei uns Menschen. Das Wasser verdunstet, nimmt dabei Wärme auf und kühlt so die Systeme.
Aber: Längst nicht alle Rechenzentren arbeiten mit Wasserverdunstung. Viele setzen auf Luftkühlung oder geschlossene Kühlkreisläufe. Und selbst bei Wasserverdunstung kommt es massiv darauf an, woher das Wasser stammt. Wird aufbereitetes Abwasser verwendet? Regenwasser? Oder Trinkwasser aus knappen Ressourcen?
Der Kontext macht den Unterschied
Ein Rechenzentrum in Skandinavien, das mit Ökostrom läuft, Außenluft zur Kühlung nutzt und überschüssige Wärme ins Fernwärmenetz einspeist, hat eine völlig andere Umweltbilanz als ein Rechenzentrum in Arizona, das mit Kohlestrom läuft und Trinkwasser verdunstet.
Die pauschale „Flasche pro Prompt“-Rechnung ignoriert diese Unterschiede komplett. Sie nimmt Durchschnittswerte, packt alles in einen Topf und spuckt eine griffige Zahl aus. Gut für Schlagzeilen, schlecht für die Debatte.
Was wirklich zählt: Der regionale Wasserstress
Viel wichtiger als die absolute Wassermenge ist die Frage: Wo wird das Wasser verbraucht? Ein Liter Wasser in Irland – wo es ständig regnet und Wasserknappheit kein Thema ist – hat eine völlig andere Relevanz als ein Liter in Kalifornien während einer Dürre.
Umweltorganisationen und Forscher sprechen deshalb von „Water Stress“ – also der Belastung lokaler Wasserressourcen. Ein Rechenzentrum kann in Region A völlig unproblematisch sein und in Region B ökologisch katastrophal. Die gleiche absolute Wassermenge, völlig unterschiedliche Auswirkungen.
Die Effizienz-Falle
Hinzu kommt: KI-Systeme werden ständig effizienter. Was heute eine Stunde Rechenzeit braucht, schafft die nächste Generation vielleicht in zehn Minuten. Moderne Chips verbrauchen deutlich weniger Energie pro Rechenoperation als ihre Vorgänger. Und weniger Energie bedeutet weniger Kühlung bedeutet weniger Wasserverbrauch.
Statische Zahlen aus Studien von vor zwei Jahren können heute schon veraltet sein. Die Entwicklung geht rasant weiter – in beide Richtungen. Ja, wir nutzen mehr KI. Aber jede Anfrage wird effizienter.
Was können wir tun?
Heißt das jetzt, wir sollen uns keine Gedanken über den Ressourcenverbrauch von KI machen? Im Gegenteil! Aber wir brauchen differenziertere Betrachtungen statt plakativer Zahlen.
Erstens: Transparenz von den Betreibern. Google, Microsoft, OpenAI und Co. sollten offenlegen, wo ihre Rechenzentren stehen, wie sie kühlen und woher ihr Wasser kommt. Einige tun das bereits, andere ducken sich noch weg.
Zweitens: Politische Rahmenbedingungen. Rechenzentren sollten dort gebaut werden, wo die Umweltbedingungen passen – und nicht dort, wo die Steuern am niedrigsten sind. Die EU arbeitet daran, aber es braucht mehr.
Drittens: Bewusster Umgang. Müssen wir wirklich jede banale Frage an ChatGPT stellen? Oder können wir einfach kurz nachdenken oder googeln? Effizienz beginnt beim Nutzer.
Der Blick aufs Ganze
Am Ende geht es nicht darum, KI zu verteufeln oder schönzureden. Es geht darum, ehrlich über Ressourcenverbrauch zu sprechen – mit all seinen Nuancen und Widersprüchen.
Ja, KI verbraucht Ressourcen. Aber eine Videokonferenz verbraucht auch Ressourcen. Ein Streaming-Abend ebenso. Die Produktion unserer Smartphones erst recht. Die Frage ist nicht, ob wir Technologie nutzen – sondern wie wir sie möglichst effizient und umweltschonend nutzen.
Und dafür brauchen wir keine griffigen Schlagzeilen, sondern präzise Analysen. Keine Vereinfachungen, sondern Kontext. Keine Panik, sondern informierte Entscheidungen.
Die „halbe Flasche pro Prompt“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell aus komplexen Sachverhalten simplifizierte Wahrheiten werden. Lasst uns gemeinsam genauer hinschauen – denn nur so können wir wirklich etwas verändern.