Man kann über die Aktion #allesdichtmachen der deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler denken, was man möchte. Man kann es mutig finden, gelungen, unbedingt nötig, ironisch – oder völlig daneben, missverständlich, überheblich, belanglos, beleidigend. Jede Reaktion ist erst mal erlaubt. Und auch diese Aktion wollte zum Nachdenken anregen – doch dazu ist es gar nicht erst gekommen. Denn überall und jederzeit herrscht die Empörung.
Die jüngste Kampagne #allesdichtmachen zeigt – wie viele andere in der jüngsten Vergangenheit auch: Wir leben in einer strikten Erregungsökonomie. Nur was empört, wird gesehen, gehört und gelesen.
Was die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ betrifft, ist das freilich längst eine Binsenweisheit. Wir wissen im Grunde, wie Facebook, Youtube, Instagram und Co. funktionieren: Algorithmen machen solche Inhalte aus ökonomischen Gründen sichtbarer und sorgen so für die beschleunigte Verbreitung von Inhalten, die Menschen aufregen oder empören.
Wir tappen immer wieder in dieselbe Falle
Die Algorithmen bestimmen die Debatte. Wir wissen es – tappen aber trotzdem allesamt immer wieder in die Falle: Die Community empört sich, wenn uns Facebook, Youtube, Instagram und Twitter etwas wie #allesdichtmachen Videos präsentieren. Die Folge: Likes, Dislikes, Forwards – und emsige Kommentare. Die Algorithmen freut’s. Sie fühlen sich bestätigt – und machen immer weiter so.
Das macht was mit uns allen. #allesdichtmachen ist wirklich ein Paradebeispiel.
Das fängt schon bei Stunde 0 der Kampagne an. Es wurde kein Bühnenstück überlegt, auch kein Kurzfilm fürs Kino und schon gar einen Text zum Nachlesen – sondern eine möglichst laute Aktion fürs Netz. Kurze Videospots von Promis. Wenige Minuten lang. Leicht zu konsumieren. Leicht zu verdauen.
Und das wichtigste: „Es muss krachen!“, haben sich die Macherinnen und Macher bestimmt gesagt. Aufwühlen. Aufregen.
Sonst kriegt’s ja keine/r mit.
Die Diktator der Algorithmen
Wir dürfen Kalkül unterstellen bei der Kampagne. Zweifellos haben die Macherinnen und Macher die Wirkung des Netzes aber unterschätzt. Dass es Instagram, Youtube, Twitter und Co. mühelos schaffen, mit der Kampagne innerhalb von 24h nicht nur die Plattformen, sondern sogar die regulären Medien zu beherrschen, haben sie bestimmt nicht erwartet. Vermutlich nicht mal gewollt.
Doch so, wie die Akteure hinter #allesdichtmachen denken wie das Netz, machen es die traditionellen Medien mittlerweile auch. Motto: Was im Netz trendet, das muss wichtig sein. Schließlich sind auch Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender – auch – im Netz präsent und damit Teil des Systems.
Es gibt anscheinend keine „Firewall“ mehr, die dafür sorgt, dass so ein Strohfeuer nicht überspringt – in die regulären Redaktionen. Auch hier herrschen längst die Algorithmen der Erregungsökonomie. Natürlich nicht immer bewusst, nicht ganz so dramatisch und konsequent wie auf den Plattformen. Beherrschend sind diese Mechanismen trotzdem. Wir Journalisten sind deswegen meist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.
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Die Diktatur der Algorithmen
Wir brauchen mehr Besonnenheit – eine „Firewall der Vernunft“
Aber wie soll eine vernünftige, sachliche Analyse möglich sein, innerhalb weniger Stunden? In nicht mal einem Tag ist die Aktion gestartet und die Empörungswelle über uns hereingebrochen. Wie ein Tsunami hat sie alles mit sich gerissen, vor allem eine vernünftige Debatte. Nur Mutmaßungen, Geschrei, Empörung. Kaum einer nimmt sich die Zeit zum Nachdenken und Reflektieren. In Zeitungen und auf den Sendern geht es genauso laut und erregt weiter wie im Netz.
Da sehe ich das Problem: Die Macht der Algorithmen. Die Algorithmen diktieren längst nicht „nur“, was wir im Netz zu sehen bekommen, sondern bestimmen den kompletten Diskurs. Unsere Gesellschaft.
Wir sollten das nicht zulassen.