Jugendmedienschutzindex 2022: Eltern haben keine Kontrolle

von | 03.02.2023 | Digital

Eltern sein ist heute schwierig: Sobald der Nachwuchs ein Smartphone in den Händen hält, geht nahezu jede Kontrolle verloren. Das belegt auch eine aktuelle Studie, der Jugendmedienschutzindex 2022.

Gewaltdarstellung, Pornos, Datenklau, Fake-News: Das Netz ist voll mit verstörenden Inhalten. Das ist schon für Erwachsene nicht immer ganz einfach, wie verwirrend oder desorientierend muss das erst für Kinder und Jugendliche sein, die oft völlig unvorbereitet auf solche Inhalte stoßen. Viele Eltern sind beunruhigt, wenn (ihre) Kinder im Netz unterwegs sind – und das völlig zu Recht, wie die aktuelle Studie „Jugendmedienschutzindex“ belegt.

Dreiviertel aller Eltern machen sich Sorgen, wenn ihre Kinder online gehen. Und die Mehrheit hat das Gefühl, vollkommen machtlos zu sein. Das ist das Ergebnis einer neuen Medienstudie, dem Jugendmedienschutzindex vom Verein Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter.

Es ist unmlöglich, jede Aktivität im Smartphone zu überwachen

Es ist unmöglich, jede Aktivität im Smartphone zu überwachen

Jugendmedienschutzindex 2022

Die Studie lässt sich so zusammenfassen: Eltern haben keine Kontrolle über den Medienkonsum ihrer Kinder – und das umso weniger, je älter die Kinder sind. Nur 55 Prozent der Eltern bewerten ihre eigenen Fähigkeiten als gut oder sehr gut, ihrem Kind eine sichere Online-Nutzung zu ermöglichen. Bereits ab 13 Jahren nehmen sich Jugendliche im Umgang mit Online-Medien im Vergleich zu ihren Eltern durchschnittlich als kompetenter wahr.

Die Fremdeinschätzung der Eltern bestätigt das. Die größte Sorge der Eltern ist, dass ihr Kind bei der Online-Nutzung belastende oder schlimme Erfahrungen macht. 77 Prozent befürchten das – und das völlig zu Recht. Die Heranwachsenden selbst sehen das gelassener, so etwas befürchten nur 44 Prozent. Während sich Eltern besonders um den Kontakt zu Fremden und mit verstörenden Inhalten sorgen, beunruhigt Kinder und Jugendliche vor allem das Verhalten anderer Heranwachsender. Eine ganze Menge Baustellen also.

Gefahr bei TikTok: Challenges

Die von jungen Menschen mit Abstand am häufigsten und intensivste genutzte Dienst ist TikTok. Der Betreiber Bytedance wurde zuletzt wegen mangelndem Jugendschutz von der EU-Kommission verwarnt.

Aus diversen Gründe, unter anderem auch wegen unzureichendem Datenschutz – aber das nicht nur bei Kindern und Jugendlicher. Viel drängender ist das hohe Risiko, das von sogenannten „Challenges“ auf TikTok ausgeht. Da werden die Nutzer aufgefordert (oder motiviert), bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Das können völlig harmlose Dinge sein wie Rätsel zu lösen oder Geschick zu beweisen. Es gibt aber auch sehr gefährliche Challenges: Von Brücken zu springen, Wände hochzuklettern oder – besonders krass – anderen solange die Luft abzudrücken, bis diese in Ohnmacht fallen.

Das ist die „Blackout Challenge“, die weltweit schon einige Todesopfer gefordert hat. Selbst Jugendliche bekommen solche Videos präsentiert, ungeachtet ihres Alters. Bei TikTok spülen einem die Algorithmen solche Videos in die Timeline, die besonders viele Reaktionen hervorrufen – ohne auf Inhalt oder Alter der Empfänger zu achten. Eltern müssen wissen, dass es solche gefährlichen Videos gibt – und bei TikTok auch angezeigt werden können.

Werbung, verstörende Inhalte und Konflikt mit Gleichaltigen

Wie meldet man unangemessene Inhalte?

Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein: Viele Eltern fühlen sich hilflos, wissen nicht, was sie unternehmen sollen. Aber werden Meldestellen genutzt?

Das ist ein wichtiger Punkt des Vereins, der sich ja um Kinder- und Jugendschutz kümmert. Nur wenige Eltern und Heranwachsende kennen und nutzen Hilfsangebote sowie Beschwerde- und Meldestellen, die es im Netz ja durchaus gibt, etwa für unangemessene Inhalte. Nur so erfahren Online-Dienste und Plattformen von unangemessenen Inhalten und können sie entfernen.

Das liegt unter anderem daran, dass diese Meldebereiche nicht immer leicht zu finden sind. Insgesamt ist das elterliche Wissen über Hilfsangebote und Meldestellen im Vergleich zu 2017 sogar zurückgegangen. Immerhin geben aber 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen an zu wissen, an wen sie sich mit negativen Online-Erfahrungen wenden würden. Die Studienmacher ziehen aber eindeutig das Resümee: Die niederschwelligen Angebote für Aufklärung und Hilfe müssen dringend ausgebaut werden.

Was sollen Eltern machen?

Laut Studie ist das Risiko, dass Heranwachsende mit allen denkbaren Dingen in Kontakt kommen, ob unangemessene Werbung, verstörende Inhalte, Konflikte mit Gleichaltrigen enorm gestiegen. Was sollen Eltern da machen?

Man sollte es wirklich nicht schönreden, finde ich – und die Studie belegt das eindrucksvoll mit Dutzenden Zahlen: In dem Moment, in dem Eltern ihrem Kind ein Smartphone in die Hand drücken, haben sie vollständig die Kontrolle darüber verloren, was ihr Kind sieht. Früher konnte sich ein Jugendlicher vielleicht mal in einen Film schmuggeln, der nicht für diese Altersgruppe vorgesehen war. Heute werden Kinder und Jugendliche mit Inhalten bombardiert – übrigens auch mit Werbung, über das gesetzlich erlaubte und erträgliche Maß hinaus. Und da die Kinder immer früher ein Smartphone bekommen, verlieren Eltern immer früher die Kontrolle.

Sie können ja unmöglich rund um die Uhr das Smartphone kontrollieren. Ein Ergebnis der Studie ist: Es braucht sehr viel bessere Unterstützung, um Eltern bei der schwierigen Aufgabe zu helfen. Eltern brauchen Infos, Rat, Werkzeuge, um im Fall der Fälle etwas unternehmen zu können. Das ist meiner Ansicht nach eine gesellschaftliche Aufgabe.

Jugendschutz muss einen größeren Stellenwert bekommen, auch wenn es hier und da mal unbequemer wird, weil sich Menschen „ausweisen“ müssen – um ihre Volljährigkeit zu belegen. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Leider wollen viele im Interesse eines unkontrollierten Internet lieber auf Jugendschutz verzichten. Das sollten wir meiner Überzeugung nach aber nicht zulassen.

 

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