SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat sein Twitter-Profil deaktiviert – und das auch öffentlich kommuniziert. Ein ungewöhnlicher Schritt für eine Person aus dem Politikbetrieb. Er hat damit eine Debatte über Twitter in Gang gesetzt.
370.000 Follower zählt das Twitter-Profil von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Für einen deutschen Account eine Menge, schließlich ist Kühnert kein Rapper oder bekannter Comedian. Er habe seinen Account in letzter Zeit kaum noch genutzt, ließ er das Redaktionsnetzwerk Deutschland in einem Interview wissen.
„Dann muss man für sich einfach irgendwann auch mal die Konsequenz ziehen und sagen: Das scheint gerade für meine politische Arbeit nicht das richtige Medium zum Senden und Empfangen zu sein“, sagt Kühnert im Interview – und schaltet seinen Account tatsächlich vorerst ab.
Für Politiker ist ein Twitter-Account fast ein „Muss“
Ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn spätestens, seitdem Donald Trump über seinen Twitter-Account praktische Regierungspolitik betrieben hat, ist ein Twitter-Konto für Politiker nahezu verpflichtend. Dasselbe gilt allerdings auch für Menschen aus dem Medienbetrieb: Journalisten, Bloggende, Medienschaffende – sie alle fühlen sich auf Twitter zuhause.
Allerdings herrscht mittlerweile auch auf Twitter ein zuweilen barscher Ton. Häufig entgleisen Debatten im Netzwerk, es wird schnell unhöflich, sogar beleidigend – bis in den strafbewehrten Bereich hinein. Wurde anfangs eher auf Facebook gedroht und gepöbelt, gehört das heute auch auf Twitter zur Tagesordnung.
Trollfabriken stören den Diskurs
Russische „Trollfabriken“ betreiben unzählige Bot-Accounts, die insbesondere den politischen Diskurs stören und beeinflussen wollen. Diese Bots hauen rund um die Uhr Falschmeldungen raus, stören Debatten, verbreiten gezielt Desinformation – und wollen die Zivilgesellschaft verunsichern und spalten. Weil die sozialen Netzwerke dagegen zu wenig unternehmen, gibt es immer mehr von solchen Accounts.
Über die Frage, wie viele Bot-Accounts es gibt, ist aktuell auch der Deal mit Elon Musk geplatzt. Twitter behauptet, dass es weniger als 5% der Konten sind, die von Software gesteuert werden. Elon Musk bestreitet das: Er und sein Team gehen davon aus – sie haben dazu Werkzeuge wie „Botometer“ benutzt –, dass sogar 33% aller Twitter-Accounts von Bots gesteuert werden.
Ernsthafte Debatten immer schwieriger
In einer solchen Umgebung eine ernsthafte Debatte zu erwarten, ist möglicherweise wirklich naiv – und nicht zielführend. Kevin Kühnert will die – zunächst temporäre – Deaktivierung seines Accounts zwar nicht als „Statement gegen Soziale Netzwerke“ verstanden wissen. Aber warum eigentlich nicht? Es ist doch ein Statement.
Auch Robert Habeck hat 2019 den Sozialen Netzwerken den Rücken gekehrt. Heute ist der damalige Grünen-Chef aber Bundeswirtschaftsminister und nutzt Twitter und andere Medien intensiv, um zu kommunizieren – aber nicht in einem Habeck-Account, sondern eben als Bundeswirtschaftsminister. Weil man das heute eben so macht.
Gesellschaft nicht repräsentiert
Da kommt ein Punkt zum Vorschein, der wichtig ist. Kühnert argumentiert: „Ich finde einfach, dass die Diskussionskultur, wie sie auf Twitter stattfindet und auch die Art und Weise, wie dort Gesellschaft repräsentiert oder, ich würde sagen, absolut gar nicht repräsentiert wird, dass das zu Fehlschlüssen und Irrtümern in politischen Entscheidungen führt.“
Damit hat er Recht. Politik- und Medienbetrieb sind besonders stark repräsentiert auf Twitter. Wer hier arbeitet, ist bei Twitter. Doch nur 17% der Deutschen nutzen Twitter regelmäßig. Mit nicht mal 8 Millionen monatlich aktive Usern in Deutschland ist Twitter das am wenigstens stark frequentierte Netzwerk, selbst LinkedIn und Pinterest haben mehr, Instagram (32 Millionen) und Facebook (47 Millionen) sowieso.
Twitter ist eine Blase
Wer sich vor allem auf Twitter informiert, kann daher schnell einen falschen Eindruck gewinnen was wichtig ist und was nicht. Nicht jede größere Debatte auf Twitter ist in Wirklichkeit in der Gesellschaft relevant. Ein Denkfehler, der auch unter Journalisten und im Medienbetrieb häufig gemacht wird.
Diesen Aspekt spricht Kevin Kühnert an – zu Recht. Darüber sollte jetzt diskutiert werden. Aber nicht auf Twitter, sondern in den traditionellen Medien.