Die Überschriften klingen dramatisch: „Peak Social Media erreicht“, „Das Ende von Facebook und Co.“. Die Financial Times hat die Debatte losgetreten, Zahlen präsentiert, Prognosen gewagt.
Doch während wir darüber diskutieren, ob Social Media seinen Zenit überschritten hat, passiert im Hintergrund etwas viel Bedrohlicheres: Das Internet wird systematisch mit KI-generiertem Schrott geflutet. Experten nennen das „Slop“ – und es könnte tatsächlich das Ende bedeuten. Nicht nur von Social Media, sondern vom Internet, wie wir es kennen.
Die Zahlen lügen – oder?
Seit 2022 verbringen Menschen weltweit angeblich zehn Minuten weniger pro Tag auf Social Media. Klingt nach einem klaren Trend. Doch halt: Die Geschichte ist komplizierter.
Das Marktforschungsunternehmen GWI, dessen Daten die Analyse stützen, hat 2024 seine Methodik grundlegend geändert. Die Zahlen vor und nach dieser Änderung sind schlicht nicht vergleichbar. DataReportal, die dieselben Daten nutzen, warnen ausdrücklich vor Vergleichen. Die Financial Times? Erwähnt das nicht.
Hinzu kommt: Was zählt überhaupt als Social Media? Gehören YouTube, Discord, Twitch und Reddit dazu? Und was ist mit WhatsApp und Telegram, die sich durch Gruppen und Kanäle längst zu semi-öffentlichen Plattformen entwickelt haben?
Besonders interessant: In den USA steigt die Nutzungsdauer kontinuierlich – 15 Prozent höher als in Europa. Wenn Social Media wirklich am Peak wäre, müsste das überall zu sehen sein.
Was wir tatsächlich beobachten, ist ein Wandel: Social Media wird weniger sozial, dafür mehr Entertainment. Ihr teilt seltener persönliche Meinungen, folgt aber mehr Promis und lasst euch berieseln. Das ist Veränderung, aber kein Ende.

Slop: Wenn KI das Netz zumüllt
Jetzt kommt das eigentliche Problem: Slop. Das englische Wort für Schweinefutter oder Matsch beschreibt perfekt, was gerade passiert. Das Internet wird mit minderwertigem, KI-generiertem Content überschwemmt.
Slop ist massenhaft produzierter Content – Texte, Bilder, Videos, Posts –, der mit KI-Tools wie ChatGPT oder Midjourney erstellt wird. Schnell, billig, ohne Mühe. Aber eben auch ohne Qualität, ohne Wahrheitsanspruch, oft ohne jeden Sinn.
Die Beispiele sind absurd: „Shrimp Jesus“ – surreale KI-Bilder von Garnelen in religiösen Szenen, die massenhaft auf Facebook geteilt werden. Weinende Kinder mit Hundewelpen nach Hurricane Helene – alles fake, aber perfekt designed, um Emotionen zu triggern. Fake-Bands auf Spotify mit Hunderttausenden Streams. News-Websites, die aussehen wie echte Medien, aber komplett von KI geschrieben sind.
Auf LinkedIn wird mittlerweile über die Hälfte aller Posts von KI verfasst. Facebook quillt über vor KI-generierten „Inspirations-Bildern“: weinende Babys in Kohlblättern, Kinder aus Holz geschnitzt, Mütter, die mit hundert Jahren Geburtstag feiern.
Das Verrückte: Slop wird oft gar nicht erstellt, um zu informieren oder zu unterhalten. Es geht nur um Klicks, Views, Engagement. Denn das bringt Geld. Social-Media-Plattformen zahlen für Reichweite, Werbeeinnahmen fließen bei vielen Klicks. Und Slop ist billig zu produzieren.

Mehr Bots als Menschen
Die Zahlen sind erschreckend: Laut dem aktuellen „Bad Bot Report“ von Imperva machen Bots 2024 zum ersten Mal seit zehn Jahren mehr als die Hälfte des gesamten Internet-Traffics aus. 51 Prozent.
Davon sind 37 Prozent „Bad Bots“ – Bots mit böser Absicht. Nur 14 Prozent sind „gute Bots“, etwa Suchmaschinen-Crawler. Der Rest, 49 Prozent, seid ihr: Menschen.
Das heißt: Wenn ihr durchs Netz surft, ist statistisch gesehen nur jeder zweite „Besucher“ auf einer Website ein echter Mensch. Und die Zahl steigt rasant. 2023 waren es noch 32 Prozent Bad Bots – ein Anstieg von über 15 Prozent in einem Jahr.
Diese Bots verursachen echten Schaden: Sie klauen Accounts, überschwemmen Websites, verzerren Statistiken, manipulieren Preise bei Tickets. Sie generieren Fake-Klicks auf Werbung, was die Branche Hunderte Milliarden Dollar jährlich kostet.
Dank KI werden diese Bots immer raffinierter: Sie knacken CAPTCHAs, geben sich als echte Browser aus, imitieren menschliches Verhalten. In der Travel-Branche stammen 41 Prozent des Traffics von Bad Bots, im Einzelhandel sogar 59 Prozent.
Social Media als Bot-Spielwiese
Social Media ist besonders anfällig für Slop, weil die Algorithmen auf Engagement optimiert sind. Und Slop erzeugt perfekt Engagement.
Facebook-Accounts posten nur noch KI-generierte Bilder, die Zehntausende Likes und Shares bekommen. Warum? Weil Menschen emotional reagieren, ohne nachzudenken. Sie kommentieren „Amen“, teilen mit Freunden. Die Plattformen registrieren hohe Interaktion – und pushen den Content weiter. Egal, ob er echt ist.
Dahinter steckt ein knallhartes Geschäftsmodell. Viele Slop-Produzenten sitzen in Indien, Vietnam oder den Philippinen. Sie füttern ChatGPT mit Prompts wie „SCHREIB MIR 10 JESUS-BILDER, DIE AUF FACEBOOK VIELE LIKES BEKOMMEN“, lassen Bilder generieren und posten massenhaft.
Meta sagt zwar, sie würden gegen „Spammy Content“ vorgehen. Aber die Plattformen verdienen an Slop. Je mehr Engagement, desto mehr Werbung. Sie haben kein wirkliches Interesse, es zu unterbinden.
Die dystopische Vision: Social Media wird bald ein Ort, wo Bots Content produzieren, den andere Bots konsumieren und kommentieren – und wir Menschen schauen nur noch zu.
Was jetzt?
Ehrlich: Es gibt keine einfache Lösung. Die Plattformen müssten ihre Algorithmen ändern, echte Qualität statt nur Engagement belohnen. Aber das widerspricht ihrem Geschäftsmodell.
Es bräuchte Kennzeichnungspflicht für KI-Content. Doch wie kontrollieren? Und funktionieren Warnungen überhaupt?
Vor allem: Wir alle müssen kritischer werden. Medienkompetenz ist wichtiger denn je. Wenn euch ein Bild merkwürdig vorkommt – zu glatt, zu perfekt, zu emotional –, ist es wahrscheinlich Slop. Hinterfragt es. Teilt es nicht.
Noch düsterer: KI-Systeme trainieren auf dem, was im Internet steht. Wenn das Netz mit Slop gefüllt ist, trainieren wir künftige KI-Modelle auf Müll. Das Ergebnis? Noch schlechtere KI, die noch mehr Müll produziert. Ein Teufelskreis.
Wir brauchen ein Umdenken – bei Plattformen, Nutzern, Regulierungsbehörden. Sonst erleben wir nicht „Peak Social Media“, sondern „Peak Internet“: den Moment, an dem das Netz so vermüllt ist, dass es seinen Zweck als Ort für echte Kommunikation verliert.
Bis dahin: Seid wachsam. Hinterfragt, was ihr seht. Und postet selbst echten Content. Schreibt eure eigenen Texte, macht eure eigenen Fotos. Denn am Ende entscheiden wir gemeinsam, ob das Internet ein Ort für Menschen bleibt – oder zur Bot-Müllhalde wird.