Problemfall Live-Videos: Können Einschränkungen helfen?

von | 10.10.2019 | Digital

Der Attentäter von Halle hat seine Mordserie auf einer Video-Plattform live gestreamt – danach hat sie sich rasant verbreitet. Ein bekanntes Muster, das sich wiederholt – immer wieder. Das wirft die Frage auf, ob es hilfreich ist, dass jeder jederzeit alles streamen kann. Anonym. Ohne irgend eine wirksame Kontrolle.

Wer ein öffentliches Radio- oder Fernsehprogramm ausstrahlen möchte, braucht dafür eine Lizenz. Nicht nur, weil damit bestimmte Frequenzen belegt werden – das auch, zumindest war das früher relevant -, sondern vor allem, weil auf diese Weise sehr viele Menschen erreicht werden. Unmittelbar. Live. Damit ist eine enorme Verantwortung verbunden. Es gibt also nun wirklich sehr gute Gründe, wieso nicht jeder einen Radio- oder Fernsehsender starten und betreiben darf. Und wenn, dann gehen damit eine Menge Verpflichtungen einher.

Unhaltbar: Jeder kann jederzeit alles streamen

Heute ist das anders. Heute kann jeder einen Live-Stream auf Facebook, Youtube, Instagram, Twitter oder Twitch starten – und nicht nur jeden Unsinn daherreden, sondern auch hetzen oder terroristische Taten live übertragen. Das war bei den Anschlägen in Christchurch so. Und das war auch in Halle so. Auch aus Deutschland werden also mittlerweile Live-Streams in die Welt gejagt, die Gewalt und Terror zeigen.

Das wirft doch die Frage auf, ob es richtig sein kann, dass einfach jeder – völlig unkontrolliert – einen solchen Live-Stream starten darf. Jeder. Egal wie verrückt, egal wie kompetent, egal wie erfahren – und auch egal, mit welchem Ziel.

Terroristen und Täter wie in Halle sind dankbar für diese Möglichkeiten. Sie können so ihre Untaten bekannt machen. Das Öffentlichmachen ihrer Tat – sogar live! – ist ein erhebliches Tatmotiv. Sie werden „berühmt“. Für immer mit der Tat verbunden. Das Netz vergisst nichts. Die Tätervideos sind nie wieder komplett aus dem Netz zu entfernen – bei aller Anstrengung, die unternommen werden mag.

Verhinderungsmechanismen können nicht wirksam greifen

Zwar hat es nach Christchurch geheißen, Facebook, Youtube und Co. wollten das Verbreiten von Kopien solcher Terrorvideos unterbinden. Schneller und effektiver. Es gab sogar einen „Christchurch Gipfel“. Danach wurde das Global Internet Forum to Counter eingerichtet, das die rasante Verbreitung solcher Gewaltvideos bei Facebook, Twitch und Co. ausbremsen soll. Aber ob das wirklich gelungen ist, darf bezweifelt werden.

Auch stellt sich die Frage, ob es besser ist, ob – wie in Halle geschehen – das Video eines Augenzeugen etwas in den Sozialen Medien verloren hat. Ich finde: Nein. Niemals sollten Amateure entscheiden dürfen, was öffentlich zu sehen ist.

Leider sind First-Person-Shooter und Actionspiele heute von realen Bildern nicht mehr zu unterscheiden. Selbst KI ist nicht in der Lage, haben uns Experten bei Facebook im Cosmotech-Podcast erklärt, bei einem Live-Stream zu unterscheiden zwischen Fiktion (Game) und Realität (Christchurch, Halle). Wenn dem so ist, sollte es eben gar nicht erlaubt sein, live zu streamen. Denn wie unverantwortlich ist es, dass jeder jederzeit alles streamen kann?

Es darf auch nicht jeder hinters Steuer und Auto fahren. Warum darf jeder streamen? Es darf nicht jeder unterrichten. Wieso darf jeder streamen? Wir sollten darüber diskutieren, ob die vermeintliche „Freiheit“, dass im Netz jeder jederzeit alles darf – zudem in der Regel anonym -, nicht doch ein erhebliches Problem ist.

Wenn ich Twitch wäre – ich würde mich schämen, dass über meinen Kanal solche Bilder verteilt werden. Und das nicht zum ersten Mal. Aber wer heute zu Twitch geht, findet keinerlei Hinweise, was eben erst Ungeheuerliches hier geschehen ist.

Anlässe wie die in Halle sind Grund genug, darüber zu diskutieren, welche Regeln es geben sollte. Im Augenblick haben wir keine. Das ist nicht gut.