Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG): Wirkungslos und Overblocking zugleich

von | 27.03.2021 | Digital

Corona, Corona, Corona: Die aktuelle Lage macht es scheinbar erforderlich, dass wir in den Medien uns ganz besonders, fast schon ausschließlich mit Themen rund um Corona beschäftigen. Dabei gehen viele andere Themen unter, die ohne jeden Zweifel auch wichtig sind.

Das beklagt auch die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ (INA). Sie meint, auch die allgemeine Berichterstattung sei von einem Virus befallen, der zu einer Art „Impfotainment“ mutiere. Ein wichtiges Topthema sei die Neufassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Damit will die Bundesregierung gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen. Kritiker halten das Gesetz und die anstehende Novellierung für wirkungslos – doch darüber diskutiere keiner, heißt es. Doch – machen wir.

Seit 2017: das NetzDG

Das NetzDG ist der Versuch, das Thema Hass und Hetze in Sozialen Netzwerken in den Griff zu bekommen – vor allem auf Facebook. Es ist Ende 2017 auf den Weg gebracht worden. Es legt fest, wie die Netzwerke umgehen sollen mit Beschwerden und offensichtlich rechtswidrigen Inhalten.

Im Wesentlichen: Große Online-Dienste müssen gemeldete Inhalte Inhalte binnen einer Woche, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24h löschen. Anderenfalls drohen ihnen Geldstrafen. Klare Regelungen. Darüber hinaus gibt es weitgehende Berichtspflichten.

Aber auch die Anforderung an ein vernünftiges Beschwerde-Management sowie die Pflicht zur Benennung von Zustellungsbevollmächtigen. Es ist eigentlich unvorstellbar, aber die riesigen, milliardenschweren Konzerne haben mitunter nicht mal Postadressen, an die offizielle Dokumente zugestellt werden können.

Nicht so wirksam, wie es müsste

Gerade wurde eine Studie veröffentlicht, die die praktische Anwendung des NetzDG untersucht hat – und die kommt zu keinem guten Ergebnis. Das NetzDG sei auf der einen Seite wirkungslos, führe auf der anderen Seite aber zu übertriebener Wirkung. Wie das?

Die Macher der Studie – ein Team um den Juristen und Medienwissenschaftler Marc Liesching – haben die aktuellen Daten mal genau untersucht. Dazu haben sich die Experten die Transparenzberichte der Netzwerke selbst angeschaut, die sind öffentlich. Aber auch die Evaluierungsberichte des Bundesjustizministeriums angefordert.

Denn das Ministerium hat die Berichte nicht öffentlich gemacht, die mussten die Autoren tatsächlich mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes einklagen. Ein Skandal. Nach Studie der Berichte kommen die Autoren zu dem Schluss: Die Online-Plattformen löschen lieber zu viel als zu wenig. „Overblocking“ wird das genannt, wenn Inhalte entfernt werden, die eigentlich vollkommen in Ordnung sind – um drohende Bußgelder zu vermeiden.

Überraschendes Ergebnis der Studie

Das ist ja überraschend: Eigentlich scheint es doch so zu sein, dass Hass und Hetze und Beleidigungen auf den Plattformen zunehmen.

Das trifft auch zu. Die Plattformen sind mit der Flut an kritischen und justiziablen Postings schlichtweg überfordert. Sie wenden deshalb einige Tricks an – vor allem Facebook. Der erste Trick: Es ist für User gar nicht leicht, ein Posting nach NetzDG zu melden. Diese spezielle Funktion ist gut versteckt. Statt dessen melden die User dann einen Verstoß gegen die AGB von Facebook.

Hier kann Facebook dann nach Gutdünken entscheiden – ohne aufwändige Kontrolle, die auch einer Prüfung standhalten würde. Facebook blockt dann lieber einmal zuviel als zu wenig, um Bußgelder zu vermeiden. Aber der Sperr-Vorgang taucht so nicht in der offiziellen NetzDG-Statistik auf. Das ist Trick zwei: Das erweckt den Eindruck, es wäre gar nicht so dramatisch.

Die Folge: Facebook zählt offiziell gerade mal 4.211 Meldungen nach NetzDG, Twitter 800.000. Die sind ehrlicher.

Facebook Pseudonym

Nachbersserung in Planung

Das klingt alles andere als zufriedenstellend. Aber an dem Gesetz wird nachgebessert.

Es wird eine Gesetzesnovellierung im Bundestag vorbereitet und an einigen Punkten gearbeitet. Strengere Kontrollen, ausgeweitete Berichtspflichten, höhere Bußgelder, bessere Auffindbarkeit der Meldungen nach NetzDG. Es ist überdeutlich, dass vor allem Facebook nur das macht, was nicht zu vermeiden ist – und keinen allzu großen Aufwand betreiben möchte, weil es ja kostspielig werden kann.

Die Politik auf der anderen Seite stellt keine geeigneten Gesetze und Werkzeuge zur Verfügung, um die Kontrolle zu ermöglichen. Es gibt auch Konflikte zwischen deutschem und EU-Recht. Das ist alles unfassbar. Facebook ist keine wirkliche Hilfe.

Die Politik muss auch darüber nachdenken, wie Straftaten effektiv verfolgt werden. Mit einer kaputtgesparten Justiz, die sowieso schon überfordert ist und mit einer Ausstattung wie aus der Steinzeit, gelingt das ganz sicher nicht. Abgesehen davon schaut man meiner Ansicht nach auch viel zu wenig auf die Ursachen: Wieso kommt es zu einem immer respektloseren Ton in den Netzen?

Es wurden viele politische Fehler gemacht – und keine Anstrengungen unternommen, die Konflikte in der Gesellschaft zu lösen und die Stimmung zu befrieden. Am Ende sind die Plattformen auch nur ein Ventil. Immer nur daran herumzudoktern ist wohlfeil.