Digitalgipfel 2022: Mit Peinlichkeit gestartet – und ohne echte Perspektive

von | 09.12.2022 | Digital

Der Digitalgipfel in Berlin ist in diesem Jahr mit einer Peinlichkeit gestartet: Das Passwort für die eigens entwickelte App war für alle Nutzer gleich. So wichtig ist IT-Sicherheit in Deutschland. Wenn das mal nur das einzige Manko gewesen wäre…

Einmal im Jahr gibt es einen Digitalgipfel. Klingt wichtig: „Digital“ und „Gipfel“ in einem Wort. Da trifft sich die Bundesregierung auf Einladung derselben mit einigen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Stiftungen – und bespricht wichtige Digitalthemen. Laut Volker Wissing, in der Bundesregierung zuständig für Digitalthemen, hat die Einiges vor: Die Digitalkompetenz der Menschen voranbringen, bis 2025 sollen gigabitfähige Netze gebaut oder ausgebaut werden.

Und alle Verwaltungsleistungen sollen digital werden. Jedes Jahr gibt es hier auf dem Gipfel ein Schwerpunktthema. Diesmal: „Gemeinsam digitale Werte schöpfen“. Wie lassen sich Daten klug erheben und für die Allgemeinheit nutzen? Aber hat das geklappt?

Solide Passwörter sind wichtig, aber viele User geben sich zu wenig Mühe

Alle Nutzer hatten dasselbe Passwort

IT-Sicherheit: Identisches Passwort für alle

Den Digitalgipfel gibt es seit 2016. So ein Digitalgipfel ist prinzipiell eine gute Idee, Wichtiger geht’s kaum. Denn die für den Gipfel zuständigen Bundesministerien Wirtschaft und Verkehr haben sich schon vor dem eigentlichen Gipfel bis auf die Knochen blamiert. Die Ministerien haben sich gedacht: Komm, sind wir modern und bieten extra für den Gipfel eine eigene App an.

Eine Gipfel-App, für alle, die dabei sind. Jeder Teilnehmer hat Zugangsdaten bekommen. E-Mail-Adresse und Passwort. Kennt man ja. Das Problem hier allerdings: Jeder hat dasselbe Passwort bekommen.

DigitalGipfel2022. Da muss man kein Hacker sein, um das zu missbrauchen. Jeder konnte sich also zum Beispiel als Volker Wissing einloggen und andere unter seinem Namen kontaktieren oder Dinge posten. Unfassbar. Der Fehler wurde zwar korrigiert – und ist in dem Sinne nicht sicherheitsrelevant. Zeigt aber, wie es in Deutschland um die Ernsthaftigkeit von IT-Sicherheit bestellt ist. Wenn einem „Security by Design“ wichtig ist, dann wäre der Digitalgipfel zweifellos ein guter Ort, dem auch Rechnung zu tragen. Aber leider ist dieses Beispiel exemplarisch.

Der neue Lagebericht zur IT-Sicherheitslage

Der neue Lagebericht zur IT-Sicherheitslage

Keine Zivilgesellschaft auf dem Gipfel

Eine Frage ist ja auch: Wie ist der Digitalgipfel eigentlich zusammengesetzt? Wer bespricht da die digitale Zukunft Deutschlands?

Das ist ein wichtiger Punkt, der durchaus kritisch gesehen wird. Denn der Gipfel ist vor allem mit Menschen aus Politik und Wirtschaft besetzt. Man konnte stellenweise den Eindruck haben, es handelt sich um eine IT-Messe. Denn natürlich wollen Vertreter der Wirtschaft ihre eigenen Lösungen verkaufen oder zumindest für sie werben. Nur wenige Menschen aus der Wissenschaft – und das ist ein wichtiger Bereich! –, nur eine einzige Person aus einer Krankenkasse – dabei will und muss man doch die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranbringen.

Aber niemand aus der Zivilgesellschaft. Chaos Computer Club, netzpolitik.org, Stiftungen oder Verbände – bleiben alle außen vor. Die Erfahrungen und auch Ideen und Forderungen werden nicht gehört, sie interessieren nicht mal.

Dabei ist es gerade in der Digitalisierung wichtig, alle anzuhören und mitzunehmen, zumindest wenn man die Gesellschaft digitalkompetent machen will. Ein längst überholtes Top-Down-Denken führt in die Sackgasse. Und wir sehen es ja auch: Die Digitalisierung kommt in Deutschland nur sehr träge voran. Führend sind wir praktisch nirgendwo. Das liegt auch an dieser Art, Gipfel abzuhalten und Digitalisierung zu gestalten.

Motto: „Daten | Geneinsam digitale Werte schöpfen“

Das Motto in diesem Jahr lautet „Daten: Gemeinsam digitale Werte schöpfen“.

Damit ist gemeint, dass Daten eine ungeheure Macht haben. Wem erzählen wir da was Neues: Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon treiben sie an die Spitze der mächtigsten Konzerne. Doch Politik und Gesellschaft machen sich Daten kaum zunutze. Wir wissen zum Beispiel nicht mal, was wir alles nicht wissen über die Pandemie. Wir erheben viel zu selten klug Daten – und stellen sie noch weniger klug der Allgemeinheit zur Verfügung.

Der Ansatz ist also schon mal richtig, das zu ändern. Doch der Impuls dafür kommt aus der EU-Kommission. Sie hat im Februar 2020 bereits die „Europäische Datenstrategie“ verabschiedet. Es soll ein europäischer Binnenmarkt für Daten entstehen. Keine zweieinhalb Jahre später kümmert sich die Bundesregierung auch schon… Und auch hier wäre es überaus wichtig, nicht nur mit den Großen der Branche zu sprechen, sondern auch mit Start-Ups, die oft viel bessere, leichter umzusetzende Ideen haben. Mit Verbänden, die Vorstellungen haben, welche öffentlich erhobenen Daten interessant sein könnten. Aber: Chance vertan.

Breitbandmessung

Breitbandmessung: Mit App oder im Web-Browser das Datentempo ermitteln

Datentempo in Deutschland immer noch mangelhaft

Ein großes Problem ist ja auch das Datentempo. Seit Jahren verspricht die Bundesregierung – egal unter welcher Führung – einen Ausbau. Schnelleres Internet. Doch Du hast eine Studie mitgebracht, die belegt: Jeder Deutsche verbringt fast eine Woche mit Warten im Jahr.

Der Netzwerkknoten De-CIX – der größte der Welt, nirgendwo werden mehr Daten pro Sekunde abgewickelt – hat eine Untersuchung veröffentlicht. Danach verbringt jeder, der im Büro am Rechner arbeitet, pro Woche 42 Minuten und im Jahr 35 Stunden mit Warten – aufs Internet.

Kennen wir ja alle: Wir warten auf den Upload. Warten, dass ein Video startet. Oder die Mail mit dem Angang geladen wird… All diese Wartezeiten summieren sich – auf 35h pro Jahr. Das ist eine Arbeitswoche. Kostet also die Volkswirtschaft eine Menge Geld. In punkto Glasfaserausbau sind wir in Deutschland auf Platz 49.

Und das durchschnittliche Datentempo an einem DSL-Anschluss liegt in Deutschland bei 77 Mbit/Sekunde. Auch da sind wir nur Mittelfeld. In Singapur sind es 220 Mbit/Sekunde. Da kann man sich schon fragen: 15 Jahre Digitalgipfel – und wir stehen immer noch schlecht da. In der Zeit, in der wir aufholen, bleiben die anderen ja nicht stehen. Die auf den Digitalgipfeln gesteckten Ziele sind weder besonders ehrgeizig, noch werden sie schnell oder überhaupt umgesetzt.

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