TikTok ist zum WarTok geworden

von | 24.03.2022 | Social Networks

Eigentlich ist TikTok eine reine Spaß-Plattform: Hier stehen Entertainment und Tanzeinlagen im Vordergrund. Doch seit dem Krieg in der Ukraine bietet die Video-App auch viele Inhalte über den Krieg an, seriöse wie unseriöse.

TikTok hat über eine Milliarde regelmäßig aktive Nutzer weltweit und ist damit zweifellos neben Facebook und Instagram eine der führenden Plattformen. Auf TikTok posten vor allem junge Menschen Videos – und schauen sie sich die anderer User an. Normalerweise stehen Spaß, Sport, Unterhaltung und Albernheiten im Vordergrund.

Von TikTok zu WarTok

Von TikTok zu WarTok

TikTok zeigt Kriegsalltag in der Ukraine

Doch das hat sich seit dem Krieg in der Ukraine geändert. Der kriegerische Konflikt ist Thema auf der Plattform. Es gibt jede Menge Bilder aus erster Hand zu sehen – gedreht von Menschen in der Ukraine, auch von Soldaten. Auf diese Weise wollen die Ukrainer mit der Welt sprechen.

Ein prominentes Beispiel ist Alina Volik. Die 18-Jährige aus Saporischschja ist nur eine von vielen Menschen aus der Ukraine, die regelmäßig auf TikTok Videos posten. Vor dem Krieg hatte sie 22.000 Follower – heute sind es 78.000. Alina zeigt den Menschen auf TikTok, wie sich ihr Alltag verändert hat: Notfall-Rucksack packen, bei Alarm aufstehen und unter Sirenengeheul in den Keller flüchten.

Einblicke in das Leben von Alina

„Das ist meine Gym“, schreibt Alina – und zeigt das Treppenhaus, das zum Keller führt. Sie zeigt leere Einkaufsregale, zerstörte Straßen und Häuser, berichtet, wie sie schläft und wie es sich anfühlt, in ständiger Angst zu leben. Äußerst realistische Einblicke in ihr Leben, ohne Dramaturgie – und deshalb so ergreifend.

Alina ist längst nicht die einzige, die offen und ehrlich gezeigt, wie Krieg in der Ukraine aussieht – und wie das Leben im Krieg. Sie teilt ihre Eindrücke, lässt die Welt teilhaben, sie ist dabei weder aggressiv noch anklagend. Es gibt aber auch Soldaten, die ihren Kriegseinsatz zeigen. Sogar Soldaten, die Tanzeinlagen präsentieren – ganz wie auf TikTok üblich. Das sind dann schon eher makabre Eindrücke.

Bedrückende Berichte aus dem Kriegsalltag

Bedrückende Berichte aus dem Kriegsalltag

TikTok ist derzeit ein WarTok

Die Videos werden nicht nur auf TikTok gepostet, sondern auch angeschaut. 200.000 Menschen zum Beispiel haben das Kurzvideo „Good Morning Sound in Ukraine“ gesehen – es zeigt, wie Alina durch Sirenengeheul wach wird. Die ungewohnte Popularität solcher Videos auf TikTok haben der Plattform den Namen „WarTok“ eingebracht.

Die Popularität des Themas auf TikTok ist allerdings auch ein Problem: TikTok wird auch mit Desinformationen geflutet. Videos und angebliche „Informationen“, die in der Regel aus Russland kommen (aber keineswegs nur) und die öffentliche Meinung bewusst manipulieren sollen. Die Fakten-Checker von NewsGuard (eine private Initiative) oder Mimikama ermitteln regelmäßig Falschinformationen, die viral gehen – auch auf TikTok.

Desinformationen aus russischer und ukrainischer Quelle

Das Besondere an TikTok ist laut NewsGuard aber: TikTok zeigt neuen Nutzern innerhalb von Minuten Desinformation über den Krieg an – selbst wenn sie gar nicht nach Inhalten mit Bezug zur Ukraine suchen. Bedeutet: Die Algorithmen präsentieren auch Menschen Videos mit Desinformationen aus der Ukraine, die gar nicht ausdrücklich danach suchen oder sich andere Videos zu diesem Kontext angesehen haben.

Um das zu untersuchen, erstellte ein Team von sechs Analysten von NewsGuard im März 2022 neue Konten auf TikTok und führten zwei Experimente durch. Hier wurde eine ganz gewöhnliche der App simuliert. Im ersten Experiment wurden die Analysten angewiesen, 45 Minuten lang durch den personalisierten “For You”-Feed von TikTok zu scrollen und alle Videos mit Bezug zum Russland-Ukraine-Konflikt in voller Länge anzuschauen, aber keinen Konten zu folgen oder eigene Suchen durchzuführen.

TikTok zeigt schon nach 40 Minuten Kriegsinhalte

Bereits innerhalb von 40 Minuten nach Anmeldung auf TikTok wurden allen NewsGuard-Analysten falsche oder irreführende Inhalte über den Krieg in der Ukraine angezeigt. Darunter waren sowohl pro-russische als auch pro-ukrainische Unwahrheiten.

Die Experten von NewsGuard kommen zu dem Schluss: TikTok unternehme zu wenig gegen gezielte Desinformation und nehme bewusst in Kauf, dass User auf der Plattform völlig ungewollt Kriegsinhalte zu sehen bekommen.

Angesichts der Tatsache, dass TikTok vor allem durch sehr junge Menschen genutzt wird, ein besorgniserregender Sachverhalt. Eltern und Pädagogen sollten das wissen und mit ihren Kindern darüber sprechen – und den TikTok-Konsum sorgfältig überwachen.