Hate Speech und Bedrohungen werden nicht ernst genug genommen

Wo kommt nur all der Hass her?

Über Monate haben Corona-Leugner und Impfgegner die österreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr im Netz bedroht. Ihre wiederholte Bitte, die Polizei möge sie schützen, hat die Polizei nicht ernst genommen. Die Ärztin hat viel Geld in Sicherheitsmaßnahmen in ihrer Praxis investiert. Sie hat nun Selbstmord begangen.

Eine Ärztin nimmt sich das Leben, weil der Hass, die Hetze, die eiskalte Bedrohung aus dem Netz schlichtweg unerträglich geworden ist. Weil hemmungslose Impfgegner sich immer und immer wieder ungestraft im Netz menschenverachtend äußern dürfen. Nicht ein Mal, nicht ein Dutzend Mal. Unzählige Male. Mit ganz konkreten Bedrohungen für Leib und Leben. Mit Todesdrohungen.

Shitstorms und Bedrohungen

Einfach nur furchtbar, was Dr. Lisa-Maria Kellermayer da monatelang aushalten musste – und ganz offensichtlich irgendwann nicht mehr aushalten konnte. Die zahlreichen Täter, die sie unentwegt bedrängten, haben Verachtung verdient – und ganz sicher strenge rechtliche Konsequenzen.

Viel schlimmer ist in meinen Augen aber, dass die Polizei ihr keinerlei angemessenen Schutz geboten hat. Obwohl sie sich immer wieder an die Polizei gewandt hat. Aber ohne nennenswerte Reaktion. So, als ob Straftaten im Internet eine Naturgewalt wären, die man einfach hinnehmen müsste. Oder nicht ernst zu nehmen braucht.

Wir wissen alle, dass das völlig falsch ist. Eine fatale Fehleinschätzung.

Shit Storms verletzen
Shit Storms verletzen Menschen

Verbale Gewalt ist auch Gewalt

Es gibt leider unzählige Fälle: Politiker, Menschen, die sich öffentlich exponieren – viele erleben andauernd unerträgliche Shit Storms und rohe verbale Gewalt. Auch Bedrohungen. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft unternehmen nur selten etwas dagegen.

Bei körperlicher Gewalt heißt es gerne: „Gewalt geht gar nicht!“ Bei verbaler Gewalt hingegen wird gerne weggeschaut. Nicht nur im Netz, wo gerne alles, auch Pöbeleien und sogar Bedrohungen als Meinungsfreiheit verstanden werden wollen.

Nein, nach meiner Beobachtung handelt es sich hier um ein ganz generelles Problem. Erniedrigungen jeder Art, auch und besonders in der Öffentlichkeit, Hohn, Spott, Häme – sie werden schon lange durch diverse abscheuliche Fernsehsendungen bei RTL und Co. hoffähig gemacht. Im Netz gibt es dann kein Halten mehr. Jeder versucht den anderen an Boshaftigkeit und Aggression zu übertrumpfen.

Das Netz ist Teil des Problems

Natürlich: Das Netz fördert Hemmungslosigkeit. Das wissen wir längst. Im Schatten der Anonymität trauen sich viele deutlich mehr, als sie sich im „echten Leben“ erlauben würden. Die Opfer sind weit weg, irgendwie virtuell. Doch das Leid, das Hass, Hetze, Häme und Bedrohungen erzeugt, das Leid ist echt.

Jetzt allein die Plattformen verantwortlich zu machen – wie so gerne und so häufig –, wäre völlig zu kurz gegriffen. Natürlich: Facebook, Twitter, Instagram, Telegram und Co. sind ganz klar ein Teil des Problems und nicht ein Teil der Lösung. Weil sie Hemmungslosigkeit fördern und immer noch viel zu wenig tun, um etwas gegen Hass, Hetze und Bedrohungen zu unternehmen.

Doch die Wahrheit ist: Lösen können die Plattformen das Problem auch nicht.

Es braucht dringend mehr Kultur im Netz
Es braucht dringend mehr Kultur im Netz

Versagen des Staates

Das ist Aufgabe des Staates – und der Gesellschaft. Der Staat muss härter durchgreifen: Erst wenn klar ist, dass Straftaten blitzschnell verfolgt werden und Konsequenzen haben, wird es auf den Plattformen im Internet vielleicht ein bisschen friedlicher. Dafür muss aber investiert werden: Polizei und vor allem auch Justiz müssen befähigt werden, ihre Aufgaben schnell und konsequent nachzukommen. Es muss personell und technisch aufgerüstet werden. Dazu aber braucht es den entschlossenen Willen.

Doch den sehe ich nicht, allen Sonntagsreden zum Trotz. Niemand will etwas verändern.

Aber auch die Gesellschaft braucht dringend ein Update. So lange es kein „Wir“ mehr gibt, ein Interesse an der Gemeinschaft, sondern immer nur Gruppenbildung – nach Geschlecht, Herkunft, Ideologie, Hobbys, Ernährungsweise…, und alle anderen „die anderen“ sind, die bekämpft und nicht verstanden werden wollen –, so lange ist keine Lösung in Sicht.

Wir brauchen mehr „Wir“

Ja, das Internet befördert das Problem zweifellos. Leider. Weil jeder jederzeit folgenlos alles raushauen kann. Und das im Blitztempo. Aber auch, weil Erregung und Aufregung das neue Nachdenken ist. Facebook, TikTok, Twitter und all die anderen reiben sich die Hände. Sie verdienen daran, dass sich die User im Netz bekriegen.

Das muss sich dringend ändern. Wir alle müssen uns dringend ändern. Mehr zuhören. Mehr Respekt haben. Mehr Verständnis aufbringen. Ja, sich bitte gerne auch mal selbst in Frage stellen. Muss ja nicht öffentlich in Social Media sein. Aber warum eigentlich nicht?

 

 

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