Cyberkriminologe empfiehlt „Polizeiwachen im Netz“

von | 29.01.2022 | Digital

Hass, Hetze und Morddrohungen im Netz gehören längst zum Alltag. Die Politik reagiert mit Druck und Verboten. Bundesinnenministerin Faeser will Telegram aus dem App Store verbannen. Das NetzDG wird Anfang Februar verschärft: Facebook und Co. müssen Straftaten dann direkt melden. Aber gibt es denn wirklich keine andere Ideen und Konzepte, um der Lage Herr zu werden? Doch, die gibt es: Die Polizei müsse umstrukturieren – und Wachen im Netz aufmachen, erklärt mit ein Cyberkriminologe im Gespräch.

Wenn ich bei Rot über die Ampel gehe, verstoße ich gegen die Straßenverkehrsordnung. In der Regel passiert nichts. Aber: Das Risiko besteht. Könnte ja die Polizei sehen. Also bin ich vorsichtig.

Doch Regelverstöße im Netz bleiben meist folgenlos. Keiner, der aufpasst. Kein Kläger. Kein Richter. Keine Strafen. Und deswegen leider auch – eine weitgehend völlige Enthemmung.

Auf der Straße rechnen wir mit Polizei - im Netz nicht

Auf der Straße rechnen wir mit Polizei – im Netz nicht

Ruth Moschner frustriert mangelnde Strafverfolgung

TV-Moderatorin Ruth Moschner hat sich dieser Tage in einem offenen Brief und Video an die Öffentlichkeit gewandt: Sie wurde mehrfach auf Instagram belästigt, hat das zur Anzeige gebracht. Aber ein Täter wurde nicht ermittelt.

Ruth Moschner hat völlig Recht, wenn sie das öffentlich anprangert. Es ist tatsächlich ein Armutszeugnis, wenn Straftaten im Netz nicht geahndet und Straftäter bestraft werden. Wir beschäftigen uns ja schon sehr lange mit Hass, Hetze, Beleidigungen, sogar Morddrohungen im Netz, die zu einem immer größeren Problem werden.

Da muss man sich schon fragen, wieso das so ist. Und vor allem, was geeignete Gegenmittel sein könnten.

Bundesinnenministerin Faeser droht damit, Telegram aus den Stores verbannen zu lassen.

Als ob das eine Lösung wäre. Alle, die mit Hass und Hetze auf Telegram nichts zu tun haben, würden mitbest

Polizeiarbeit anders denken

Es gibt aber Ansätze, die ich interessant und vielversprechend finde. Und einer lautet: Polizeiarbeit ganz anders zu denken.“

Wie wäre es, wenn die Polizei im Netz Streife fahren würde. So wie im richtigen Leben auch. Denn wer Polizei sieht, fühlt sich als Bürger in der Regel sicherer – und die Abschreckungswirkung ist nicht zu unterschätzen. Das zumindest ist die zentrale Forderung von Thomas Rüdiger, Cyberkriminologe aus Brandenburg, der auch Polizisten schult.

Cyberkriminologe Thomas Gabriel Rüdiger sagt mir dazu im Gespräch; „Man muss zunächst sagen: Eigentlich ist es für uns so, dass die Sichtbarkeit der Polizei ein essenzieller zB auch im Straßenverkehr. Und ich glaube, dass die Polizeit genauso Bestandteil sein muss dieses öffentlichen digitalen Raums wie im Straßenverkehr.“

Da kommen natürlich auch merkwürdige Gefühle auf, denn da gibt es bislang ja nicht. Wirkt das nicht wie ein Polizeistaat und führt zu Widerstand?

Dazu sagt Thomas Rüdiger „Ich glaube das Grundproblem im Netz ist in dieser Situation eher, dass wir bislang gar keine Überwachung durch die Polizei hatten, sondern wir hatten eher eine Unterwachung.“

„Bislang haben wir keiner Überwachung im Netz, sondern eine Unterwachung.“
Thomas Gabriel Rüdiger, Cyberkriminologe

Cyberkriminologe Thomas Gabriel Rüdiger

Cyberkriminologe Thomas Gabriel Rüdiger

Unterwachung statt Überwachung

„Unterwachung statt Überwachung“: So kann man es auch formulieren. Polizei, die im Netz patrouilliert: Das erfordert allerdings ein völliges Umdenken, auch bei den Innenministern, sagt Rüdiger. Alle bei der Polizei müssten Medienkompetenz entwickeln – und Tausende von Beamten sich schwerpunktmäßig mit Kriminalität im Netz beschäftigen. Denn da findet Kriminalität heute vor allem statt.

Das erscheint mir ein folgerichtiger Ansatz zu sein. Denn Werkzeuge wie Telegram verbieten zu wollen, das ändert überhaupt nichts an der Situation. Dann wird irgend eine andere offene App zum neuen Tummelplatz.

Wie so eine Ausgestaltung genau aussehen könnte, das müsste natürlich erst mal besonnen diskutiert werden. Auch, was als öffentlicher Raum im Netz gilt und was strikt privat ist, natürlich.

Wir sollten jedoch unbedingt auch an die schwächsten in der Gesellschaft denken: unsere Kinder. Die sind allzu oft völlig wehrlos im Netz unterwegs – und brauchen dringend mehr Hilfe.“

Vorschlag: Kinderwachen im Netz

Stichwort: Cybergrooming. Erwachsene locken Kinder und Jugendliche online in Fallen. Oft mit dem Ziel, sexualisierter Gewalt an Kindern. Ein riesiges und leider wachsendes Problem.

Häufiger Tatort: Online-Games. Junge Menschen verbringen hier sehr viel Zeit. Aber hier passt niemand auf. Nicht nur deswegen schlägt Thomas Rüdiger spezielle Kinderwachen im Netz vor, an die sich junge Menschen und Opfer wenden können.

Der Wunsch des erfahrenen Cyberkriminologen wäre, dass wir eine Art Kinder-Online-Wache kreieren, wo Polizisten mit Pädagogen, Lehrern, Ärzte rund um die Uhr für Kinder in einer virtuellen, spielerischen Umgebung zur Verfügung stehen und Chat-Möglichkeiten anbiete. Damit sie die Kinder in der Welt, in der sie unterwegs sind, im digitalen Raum, Möglichkeiten hätten, sich an die Polizei zu wenden.

Lösungsansätze, mal völlig anders gedacht – und das gefällt mir daran. Wir müssen Kinder und Jugendliche schützen. Und am Ende auch uns alle. Der Auftrag an die Politik ist klar: Kriminalität verlagert sich von der physischen in die Onlinewelt. Also muss auch die Polizei Personal umschichten.