Wenn ein Politiker wie Kevin Kühnert Twitter verlässt

von | 16.09.2022 | Social Networks

Kevin Kühnert hat seinen Twitter-Account auf Eis gelegt. Aus Gründen. Der aktuelle „Social Medi Atlas“ gibt ihm in einigen Punkten Recht.

Kevin Kühnert, der Generalsekretär der SPD, ist ein Kommunikationsprofi. Nicht nur weil er Generalsekretär einer Regierungspartei ist, sondern natürlich auch vorher schon. Und wenn so einer wie er in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland verrät, dass er seinen Twitter Account auf Eis legt, dann ist das schon verwunderlich. Denn gerade darüber wird in politischen Kreisen ja gerne kommuniziert. Doch Kevin Kühnert sagt: „Das scheint für meine politische Arbeit nicht das richtige Medium zum Senden und Empfangen zu sein“. Er hat damit eine Debatte ausgelöst. Der „Social Media Atlas“, eine Studie, die diese Woche herausgekommen ist, gibt ihm recht.

Kevin Kühnert hat seinen Twitter Account auf Eis gelegt

Kevin Kühnert nicht mehr auf Twitter

Ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn spätestens, seitdem Donald Trump über seinen Twitter-Account praktische Regierungspolitik betrieben hat (davon haben wir ja gerade gehört) , ist ein Twitter-Konto für Politiker nahezu verpflichtend.

Dasselbe gilt allerdings auch für Menschen aus dem Medienbetrieb: Journalisten, Bloggende, Medienschaffende – sie alle fühlen sich auf Twitter zuhause. Kevin Kühnert ist mit rund 370.000 Followern zweifellos ein Schwergewicht im deutschsprachigen Twitter. Eigentlich die ideale Plattform: Hier sind praktische alle aus dem politischen Betrieb vertreten, Politiker, Lobbyisten, aber auch Journalisten, Medienschaffende, Multiplikatoren.

Allerdings herrscht mittlerweile auch auf Twitter ein zuweilen barscher Ton. Häufig entgleisen Debatten im Netzwerk, es wird schnell unhöflich, sogar beleidigend – bis in den strafbewehrten Bereich hinein. Wurde anfangs eher auf Facebook gedroht und gepöbelt, gehört das heute auch auf Twitter zur Tagesordnung. Diese zunehmend destruktive Atmosphäre hat Kühnert gestört – aber auch die Tatsache, dass Twitter nicht die Breite der Gesellschaft abbildet.

370.000 Follower sehen auf Kevin Kühnerts Twitter Account aktuell - gar nichts

370.000 Follower sehen auf Kevin Kühnerts Twitter Account aktuell – gar nichts

Breite der Gesellschaft nicht auf Twitter

Es ist zwar nicht die Breite der Gesellschaft bei Twitter, aber es sind immerhin, wie du sagst, die Entscheider und Multiplikatoren dort. Was ist denn falsch daran, wenn die sich dort öffentlich miteinander austauschen?

Es gibt das gleich mehrere problematische Punkte. Der erste: Es ist eine Blase. Die Forderungen von Aktivisten zum Beispiel sind omnipräsent, die Sorgen von Handwerkern oder Erziehenden eher nicht – es sei denn, es findet sich ein Multiplikator bereit, darüber zu twittern. Bestimmte Themen, etwa Klima, Gender, Ernährung, aber eben auch aktuelle politische Ereignisse sind überproportional stark präsent, andere praktisch überhaupt nicht.

Sie dringen einfach nicht durch. Man kann viel Zeit in einem solchen Netzwerk verbringen, mit dem Studium von Beiträgen und Debatten, aber auch, indem man sich an Debatten verliert. Natürlich sind bestimmte Themen dann präsenter. Hinzu kommt, dass auch noch praktisch alle Journalisten auf Twitter präsent sind und sich die Themen für Berichterstattung hier rausholen. Was bedeutet: Diese Themen werden noch präsenter und andere überschattet. Das scheint mir ein großes, überdeutliches Problem zu sein. Hinzu kommen natürlich die Trolle, die Themen aufblasen und Debatten stören.

Trolle trollen…

Es gibt verschiedene Arten von Trollen. Da sind einmal die, die einfach nur Stimmung machen wollen, häufig, indem Falschinformationen verbreitet werden. Das sind Accounts, die kein anderes Ziel haben als, gegen Corona-Auflagen oder was auch immer, was gerade aktuell ein Thema ist. Das machen sie aggressiv und oft mit unlauteren Mitteln, etwa Lügen, Pöbeleien und Drohungen.

Es geht darum, die Gesellschaft zu spalten, die Menschen gegeneinander aufzubringen. Wir wissen, dass es „Trollfabriken“ gibt, die aus Russland kommen und auch von dort bezahlt werden. Das sind oft sogar „Bots“, also Algorithmen, die sich automatisch überall beteiligen, wo ein Stichwort fällt. Auch das stört jede Debatte, macht jede vernünftige Diskussion unmöglich.

Es gibt solche Bots überall, aber sie sind vor allem da aktiv, wo sie etwas bewirken können. Auf Instagram zwischen all den Fotos von Beach, Brunch und Bewunderung verpuffen solche Troll-Kommentare. Deswegen sind sie auf Twitter aktiv. Zwischen 5% – sagt Twitter – und 33%, sagt Elon Musk, der Twitter ja mal kaufen wollte, der Twitter Accounts sollen und könnten Bots sein. Kevin Kühnert macht einen Punkt und hat recht, wenn er sagt: Es macht doch keinen Sinn, hier ernsthaft debattieren zu wollen. Es geht nicht.

Trolle stören den Diskurs auf Twitter und anderswo

Trolle stören den Diskurs auf Twitter und anderswo

Social Media Atlas

Diese Woche ist der „Social Media Atlas“ herausgekommen. Eine Studie, die genauer untersucht, wer in den Sozialen Netzwerken unterwegs ist. Die Studie kommt zu dem Schluss: „Entscheider und Multiplikatoren dominieren kleinere Communities“.

Das unterstreicht Kühnerts Aussage. Nur 8 Mio. Deutsche sind auf Twitter, 29% der Deutschen mit Internetanschluss. Aber 49% aller klassischen Meinungsbildner wie Publizisten, Journalisten, Führungskräfte, Politiker und Ehrenamtler. Diese Gruppen sind also eindeutig überrepräsentiert auf Twitter. In anderen sozialen Medien ist das anders.

Auf Facebook, Youtube oder Instagram sind viel mehr Menschen – und damit sind auch mehr Gesellschaftsgruppen vertreten. Auf diesen Kanälen können Politiker oder Publizisten mit den Menschen direkt in Kontakt treten. Auf Twitter mehr oder weniger nur untereinander. Stark vereinfacht gesprochen, natürlich. Das bedeutet eben, dass auf Twitter bestimmte Themen übermäßig stark präsent sind, andere aber überhaupt nicht, solange sich kein starker Fürsprecher findet. Wer zu viel Zeit auf Twitter verbringt, könnte ein verzerrtes Bild der Realität bekommen.