EU nimmt Google ins Visier: Trainiert der Tech-Gigant seine KI auf Kosten anderer?

von | 09.12.2025 | KI

Die EU-Kommission hat ein Verfahren gegen Google eingeleitet. Der Vorwurf wiegt schwer: Der Konzern soll fremde Inhalte für seine KI nutzen – ohne angemessen zu bezahlen und ohne echte Widerspruchsmöglichkeit. Das könnte teuer werden.

Worum geht es konkret?

Wer heute bei Google etwas sucht, bekommt längst nicht mehr nur blaue Links zu sehen. Ganz oben prangt mittlerweile oft eine KI-generierte Zusammenfassung – die sogenannten „AI Overviews“. Dazu kommt der erst kürzlich in Deutschland gestartete „KI-Modus“, der Fragen im Chatbot-Stil beantwortet.

Das Problem: Diese schicken KI-Antworten basieren auf Inhalten, die andere erstellt haben. Nachrichtenseiten, Wikipedia, Blogs, Fachportale – sie alle liefern das Rohmaterial, aus dem Googles KI ihre Zusammenfassungen bastelt. Die EU-Kommission vermutet nun, dass Google diese Inhalte nutzt, ohne die Urheber angemessen zu vergüten.

Und es kommt noch dicker: Die Wettbewerbshüter schauen sich auch YouTube genauer an. Wer dort Videos hochlädt, muss Google praktisch eine Blanko-Erlaubnis erteilen – einschließlich der Nutzung fürs KI-Training. Eine Vergütung? Fehlanzeige. Widersprechen? Geht nur, wenn du auf YouTube verzichten willst.

Deutschland bekommt ein eigenes Digitalministerium
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Die Zwickmühle für Publisher und Creator

Hier liegt der eigentliche Knackpunkt: Theoretisch könnten Webseitenbetreiber Google ja einfach aussperren. Aber wer das tut, verschwindet aus den Suchergebnissen. Und das bedeutet für die meisten schlicht den digitalen Tod.

Die EU-Kommission sieht darin ein strukturelles Problem. Publisher haben faktisch keine Wahl – sie müssen mitspielen, ob sie wollen oder nicht. Google sitzt am längeren Hebel. Vizepräsidentin Teresa Ribera brachte es auf den Punkt: „Eine freie und demokratische Gesellschaft ist auf vielfältige Medien und eine lebendige Kreativlandschaft angewiesen.“ Der Fortschritt durch KI dürfe nicht auf Kosten dieser Prinzipien gehen.

Doppelter Wettbewerbsvorteil?

Die Ermittlungen haben noch eine zweite Dimension. Es geht nicht nur um die unfaire Behandlung von Urhebern – sondern auch um einen möglichen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen KI-Anbietern.

Denn während Google munter YouTube-Videos zum Training seiner KI-Modelle nutzen kann, verbieten die Plattform-Richtlinien genau das anderen Unternehmen. OpenAI, Meta oder europäische KI-Startups schauen in die Röhre. Sie haben schlicht keinen Zugang zu diesem gigantischen Datenschatz. Google hingegen bedient sich am eigenen Buffet – ein klassischer Fall von „Wasser predigen, Wein trinken“.

Besorgter Mann sieht ein Dokument über KI.

Beschwerden gab es schon länger

Die Ermittlungen kommen nicht aus heiterem Himmel. Im Sommer hatten bereits mehrere Verlegerverbände und Organisationen Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Die britische Organisation Foxglove und die Vereinigung Unabhängiger Verleger machten den Anfang. Dass die Kommission jetzt aktiv wird, zeigt: Die Argumente der Beschwerdeführer haben offenbar überzeugt.

Matthias Spielkamp von AlgorithmWatch begrüßt das Vorgehen ausdrücklich. Er sieht darin ein wichtiges Signal für die gesamte KI-Branche. Verlage und Urheber hätten im Moment faktisch keine Alternative – wer nicht von Google durchsucht werden will, existiert im Netz praktisch nicht.

Google wehrt sich

Der Konzern zeigt wenig Verständnis für die Untersuchung. KI-Technologie komme bei der Google-Suche schon lange zum Einsatz, argumentiert ein Sprecher. Die Europäer hätten ein Recht darauf, von der neuesten Technologie zu profitieren. Die Beschwerde riskiere, „Innovationen in einem Markt zu ersticken, der wettbewerbsintensiver denn je ist.“

Außerdem verweist Google darauf, dass Publisher technisch die Möglichkeit hätten, den Zugriff auf ihre Inhalte für KI-Modelle zu blockieren. Was der Konzern dabei elegant verschweigt: Wer das tut, bestraft sich selbst. Das Argument klingt nach Wahlfreiheit, ist aber in der Praxis keine.

Google hat die "Übersicht KI" eingeführt: KI-Antworten neben den üblichen Treffern
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Was droht Google?

Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wird es richtig teuer. Bei Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht können Bußgelder von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes fällig werden. Bei Google wären das astronomische Summen.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal: Erst im September 2025 musste der Konzern knapp drei Milliarden Euro zahlen – damals ging es um das Werbegeschäft. Die EU zeigt durchaus Zähne, wenn es um Big Tech geht.

Eine Frist für die Ermittlungen gibt es nicht. Erfahrungsgemäß ziehen sich solche Verfahren über Jahre. Aber allein die Tatsache, dass die Kommission aktiv wird, sendet ein Signal – auch an andere KI-Unternehmen wie OpenAI oder Meta, die ähnliche Praktiken pflegen.

Was bedeutet das für dich?

Als Nutzer wirst du von den Ermittlungen erstmal wenig mitbekommen. Die KI-Übersichten in der Google-Suche bleiben online, der KI-Modus funktioniert weiter.

Aber das Verfahren könnte langfristig die Spielregeln verändern. Wenn die EU durchsetzt, dass KI-Anbieter für Trainingsdaten zahlen müssen, hat das Konsequenzen für die gesamte Branche. Möglicherweise werden KI-Dienste teurer. Vielleicht entstehen aber auch fairere Modelle, bei denen Content-Creator am Erfolg beteiligt werden.

Für Journalisten, Blogger und YouTuber könnte das durchaus eine gute Nachricht sein. Denn momentan gilt: Wir liefern den Rohstoff, Google verdient daran – und wir gehen leer aus. Das Verfahren könnte dieses Ungleichgewicht zumindest ins Wanken bringen.

Ein Signal mit Tragweite

Das Verfahren gegen Google hat Signalwirkung weit über den Einzelfall hinaus. Denn die Frage, wer für KI-Trainingsdaten bezahlen muss, beschäftigt die gesamte Tech-Branche. OpenAI, Meta, Microsoft – sie alle nutzen ähnliche Methoden. Eine Entscheidung gegen Google würde auch für sie zum Problem.

Die EU zeigt mit dem AI Act und dem Digital Markets Act bereits, dass sie bereit ist, Big Tech härter anzufassen als andere Regionen. Die aktuellen Ermittlungen passen ins Bild einer selbstbewussteren europäischen Regulierung. Ob das am Ende Innovation bremst oder fairen Wettbewerb fördert, darüber streiten Experten.

Die spannende Frage ist: Schafft die EU es tatsächlich, einem der mächtigsten Tech-Konzerne der Welt faire Spielregeln aufzuzwingen? Die Antwort darauf wird nicht nur für Google entscheidend sein – sondern für die gesamte Zukunft der KI-Entwicklung in Europa.