Datenschutz vs. Kinderschutz: Was ist eigentlich eine IP-Adresse?

von | 03.06.2022 | Digital

Es wird aktuell viel über Täter-, Opfer- und Datenschutz gesprochen. Nach meiner Beobachtung verstehen viele aber nicht genau, was eine IP-Adresse eigentlich ist – und wieso die Polizei hier häufig nicht weiter kommt. Ein Versuch der Erklärung.

Der aktuelle Fall rund um die Missbrauchsfälle in Wermelskirchen schockiert alle: die Öffentlichkeit, die ermittelnden Polizeibeamten – und die Politik. Natürlich will man das verhindern, den Tätern auf die Schliche kommen. Doch die Polizei sagt – ein ums andere Mal: Wir kommen in vielen Fällen nicht weiter.

NRW-Innenminister Reul sagt das. Auch Holger Münch, der Chef des BKA, der mitteilt, dass allein im vergangenen Jahr 2100 ermittelte Fälle nicht zu Ende gebracht werden konnten, weil die nötigen Daten fehlen. Täterschutz statt Opferschutz, sagen viele – und dieser Eindruck drängt sich ja tatsächlich auf. Was verhindert der Datenschutz eigentlich?

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Polizei kommt mit Ermittlungen oft nicht weiter

Sowohl NRW-Innenminister Reuel als auch Polizeibeamte beklagen, dass sie oft mit ihren Ermittlungen nicht weiterkommen, obwohl ihnen konkrete Beweise vorliegen. Woran liegt das?

Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie wir im Netz kommunizieren. Hier gilt prinzipiell ein hohes Maß an Anonymität. Wir müssen uns ja nicht ausweisen, keinen echten Namen nennen, nicht mal eine Handynummer oder Postadresse hinterlassen.

Wir sind prinzipiell anonym im Netz unterwegs. Das ist auch gut so und sogar ein verbrieftes Grundrecht. Wenn Polizeibeamte einem Verdacht nachgehen und in Protokollen Hinweisen auf den Austausch von Missbrauchsbildern finden, haben sie in der Regel nur eine einzige Spur: die IP-Adressen der Menschen, die dort in der Vergangenheit Bilder geladen, abgeliefert oder ausgetauscht haben. Diese IP-Adressen werden in der Regel gespeichert und protokolliert, auf den Servern, die Inhalte anbieten oder einen Datenaustausch oder Chat ermöglichen.

Das ist die IP-Adresse

Den Begriff „IP-Adresse“ hören wir oft – was ist das eigentlich?

Fangen wir mit dem Begriff an: „IP“ steht für „Internet Protokoll“. Das ist quasi die Methode, wie im Internet Daten ausgetauscht werden. Hier braucht jedes Gerät, das mit dem Internet verbunden ist, eine eigene IP-Adresse. Egal, ob Smartphone, Tablet, Desktop-PC, Rauchmelder, Klingelanlage, per App fernsteuerbare Lichtleiste – oder Server von Unternehmen: Alle haben so eine eindeutige, unverwechselbare IP-Adresse. Die Datenpakete, die wir unentwegt unbemerkt hin und her senden, haben als Absender eine IP-Adresse und als Empfänger eine IP-Adresse.

Das Internet sorgt nur dafür, dass diese Pakete zugestellt werden. Blitzschnell. So eine IP-Adresse besteht aus vier Zahlen zwischen 0 und 255, etwa 191.168.0.1. Weil sich damit aber nur rund 4,3 Milliarden Geräte abbilden lassen, früher genug, heute längst nicht mehr, wird seit einigen Jahren auch eine erweiterte IP-Adresse (IPv6 genannt) verwendet. Die ist viel länger – und wird zunehmend benutzt. Aber von all dem merken wir als Benutzer nichts. Das machen die Apps, Programme, Computer, Smartphones, Server und Rechenzentren alles unbemerkt unter sich aus.

IP Adresse

Wer steckt hinter einer IP-Adresse?

Aber dann müsste es doch ziemlich einfach sein, eine Täterin, einen Täter zu ermitteln: Nachschauen, wem die IP-Adresse gehört – und die Handschellen klicken.

Das wäre so, wenn Du und ich, wenn Dein Handy und mein Handy jeweils eine eigene, individuelle, unveränderliche IP-Adresse hätten – und auch irgendwo registriert wäre, wem sie gehört. Wie bei einer Telefonnummer zum Beispiel. Aber so ist es nicht. Wir als Konsumenten erhalten ständig neue IP-Adressen zugewiesen von unseren Mobilfunk-Providern oder DSL-Anbietern. Wir haben keine eigene, feste. Schalten wir das Handy ein, gibt’s eine IP-Adresse aus dem Fundus des Mobilfunkanbieters.

Unser DSL-Anbieter gibt uns eine andere IP-Adresse für zu Hause – und ändert die meist, spätestens alle 24h. Der Grund: Es gab lange Zeit zu wenige IP-Adressen, da mussten die Provider wirtschaften. Mittlerweile werden längere IP-Adressen verwendet, da gibt es keine Knappheit. Theoretisch könnte man jedem Gerät eine eigene, feste, unveränderliche Adresse geben. Aber das will niemand, weil das die Anonymität aufheben würde.

Bedeutet: Wenn die Polizei eine IP-Adresse findet, die in der Vergangenheit verwendet wurde, weiß sie bestenfalls, welchem Provider sie gehört. Die Polizei muss dann anfragen: Wer hat am 25. November 2021 um 13:32 Uhr und 12 Sekunden die IP-Adresse sowieso benutzt? Da Provider dieser Daten in der Regel nur wenige Tage bis Wochen vorhalten, danach werden sie aus Datenschutzgründen gelöscht, können sie die Frage meist nicht beantworten. Ende der Ermittlungen.

Vorratsdatenspeicherung

Und genau hier kommt die umstrittene Vorratsdatenspeicherung ins Spiel. Provider sollen solche Nutzungsdaten länger speichern, etwa für solche Ermittlungen.

Die Vorratsdatenspeicherung ist in der EU eigentlich vorgeschrieben, wir hatten sie in Deutschland auch schon – doch sie ist seit 2017 ausgesetzt. Weil Bundesverfassungsgericht und EUGH die Gesetze gekippt haben. Mit dem Argument: unverhältnismäßig. Denn es werden sehr viele Daten – auch Orts- und Kommunikationsdaten – anlasslos von uns allen gespeichert. Eine Art Generalverdacht – mit hohem Risiko, dass die Daten Begehrlichkeiten wecken und missbräuchlich verwendet werden.

Da machen Datenschützer und Netzaktivisten einen Punkt. Solche Daten müssten also absolut sicher erhoben und gespeichert werden – und nur für wirklich relevante Fälle genutzt werden dürfen: Terrorismus, Schwerstkriminalität, Missbrauchsfälle. Aber nicht für jeden Parkverstoß – oder sogar zu politischen Zwecken, was die Sorge vieler Kritiker ist.

Meiner Ansicht nach wäre das möglich. Dazu müssten aber zum einen die Gesetze wasserdicht formuliert sein, am besten europaweit, und penibel auf eine rechtsstaatliche Nutzung geachtet werden. Mit unabhängiger Kontrolle der Nutzung. Ich glaube, dann könnten die meisten Menschen mit so einer Regel leben (nicht alle), und die Polizei hätte mehr Daten, die so dringend braucht.

 

 

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